"Folklorekomplex"

Roman von Peter Kamber

(2016; letzte Änderungen im Mai 2017)


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Warum ich den Roman "Folklorekomplex" vorab im Internet veröffentliche?

 

 

Im Moment pflegen etliche europäische Staaten auf zuweilen schroffe Weise, was Ross Douthat in der International New York Times (25. Juli 2016) im Zusammenhang mit Donald Trumps Wahlkampf als "Ethno-Nationalismus" bezeichnet. Der hier vorgestellte Roman "Folklorekomplex" hat deshalb eine gewisse Aktualität und weist über die Schweiz hinaus.

 

"Folklorekomplex" ist ein Emmental-Berlin-Roman über Öl-Umgehungsgeschäfte und das Eidgenössische Schwingfest 2013 in Burgdorf. Auf die Idee für den Roman kam ich, weil sich mein Schreibatelier über zwei Jahrzehnte lang in einer alten Fabrikliegenschaft am Eingang zum Emmental befand  in der ehemaligen Schachtlekäsefabrik "Alpina" in Burgdorf, deren Hauptmarke "Chalet"-Käse war. Diese "Nähe" ermöglichte mir 2013, das dreitägige Schwing- und Älplerfest von Anfang bis zum Ende als literarischer Reporter zu verfolgen. Es ist streng in die Romanhandlung eingebaut.

 

Das Internet bietet heute für Schreibende wieder Bedingungen ähnlich wie in der großen Zeit der Tageszeitungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die meisten Blätter Fortsetzungsromane abdruckten. Das schuf eine starke Leserinnen- und Leserbindung. Und für die Autorinnen und Autoren war es eine Möglichkeit, so schreiben zu lernen, dass die Spannung nie nachließ. Honoré de Balzac ließ 1844 seinen Roman "Modest Mignon" im Journal des Débats bereits erscheinen, als der ganze Text noch gar nicht zu Ende geschrieben war; gleichen Jahres wurde er dann auch als Buch gedruckt.

 

"Folklorekomplex" ist ein Roman, in dem nebenher auch von Proust und Baudelaire die Rede ist, und nicht ganz zufällig. Es geht in dem Roman um Werte. Der "Folklorekomplex" ist keineswegs auf die Schweiz beschränkt, wie die gegenwärtigen Entwicklungen zeigen.

 

Berlin, 6. August 2016

 

 

Zusammenfassung der Handlung

 

 

Hauptfigur ist Anna Hungerbühler, eine junge Berlinerin mit Wurzeln im Emmental – und einem entsprechenden "Folklorekomplex". Folklore halt sie für unecht und zu sehr beeinflusst von nationalkonservativer Politik. Allerdings verblieb noch eine Verbindung zum Emmental: Annas alter Pflegevater, den sie nur „Großvater“ nennt. Dieser Großvater kam als junger deutscher Deserteur über Frankreich in die Schweiz (und ließ sich damals vom Schweizerischen Geheimdienst zu einem Erkundungsauftrag hinter den Linien überreden). Annas (drogensüchtige) Mutter starb sehr früh, doch das wird erst gegen Ende des Mittelteils des Romans ein Thema, vorher wird es nur angedeutet.

 

In Berlin ist Anna Kolumnistin, seit sie mit einem ersten kurzen Roman einen Aufmerksamkeitserfolg errang. In diesem Erstling ging es um die geheime Tango-Szene in Berlin zum Ende des Ersten Weltkriegs, mit einer Rahmenhandlung, die in einer WG in Berlin spielt. Von dieser WG ist nur noch eine Frau übrig – Erna, die gerade an einem Buch über das Bild antiker Schlachten und Männlichkeitsriten in der aktuellen Populärkultur schreibt und gern viel über Salons zu Zeiten von Proust redet.

 

„Folklorekomplex“ schildert den Sommer 2013 des Eidgenössischen Schwingfestes in Burgdorf, dieser Kleinstadt am Eingang des Emmentals. (Zuerst wird Anna zufällig auf einen eklatanten Fall von Wirtschaftskriminalität in Zürich aufmerksam – Rohstoffumgehungsgeschäfte, Handel mit Boykott-Öl.)

 

In der Altersresidenz ihres „Großvaters“ in Burgdorf fällt ihr Blick auf das Plakat für das das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest, das nur alle drei Jahre stattfindet und dann jeweils ganz im Fokus der schweizerischen Aufmerksamkeit steht. Zum ersten Mal überhaupt soll diese Alpenolympiade im Emmental stattfinden. Nur widerwillig lässt sich Anna darauf ein. Es stört sie, wie die Scheinbilder des Echten in der Folklore politisch benutzt werden. An einem Schwingfest auf dem Brünigpass, das sie zur Vorbereitung besucht, wird sie gleich zu Beginn der Handlung auf einen jungen Berner Schwinger, August Vomwinkel, aufmerksam. Sie interviewt ihn, und ohne dass sie das will, beginnt er ihr auf eigene Faust bei der Recherche über eine dubiose, mit Boykott-Öl handelnde kleine Firma in Zürich zu helfen, ohne zu ahnen, in welche Schwierigkeiten er sie – und sich selbst – dadurch bringt. Eigenmächtig spielt dieser junge August Vomwinkel Kundschafter und glaubt sich dabei auf Geheimdienstregeln verlassen zu können, auf die ihn ihr Großvater (wie ungern auch immer) hinweist.

 

Es ist ein Gegenwartsroman, der sowohl in Berlin wie im Emmental spielt und mit einem Blick von außen die spezielle Form des Ringkampfs beleuchtet, der in der Schweiz als Schwingen bezeichnet wird. Diese Sennen-Sportart hat fast den Rang eines staatserhaltenden Fetischs inne, und deren einst rebellische Herkunft ist (fast) vergessen. Nicht nur Anna steht vor einem Konflikt um das Echte – auch der besagte junge Berner Schwinger August Vomwinkel gerät, mit lautersten Absichten, in einen schmerzlichen Zwiespalt. "Folklorekomplex" ist nur fast eine Liebesgeschichte. Denn es geht auf einer tieferen Ebene um das von Baudelaire geprägte Wort: "Für meine Lust brauche ich kein Elend anderer." – "Je n’ai besoin, pour ma jouissance, de la misère de personne." Charles Baudelaire, Le spleen de Paris (petits poèmes en prose), 1869, Nr. XXI, „Les tentations“).