"Lebensprinzip aller Kunst: uns den Dingen dadurch näher zu bringen, dass sie uns in eine Distanz von ihnen stellt."

(Georg Simmel, Philosophie des Geldes, 1900, S. 537)

 

"Er hatte es wie die meisten andern Leute; er meinte, die Welt wisse nichts von ihm, als was er gut finde, ihr selbst zu sagen."

(Jeremias Gotthelf, Die Käserei in der Vehfreude, 1850 (1984, S. 301

 

 


 

 

Geboren wurde ich am 15. August 1953 in Zürich und bin auch da aufgewachsen.


1968-1972 besuchte ich die damalige Oberrealschule Zürich (an der einst auch schon Gottfried Keller war), ein Gymnasium mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Wir lernten in einem Freifach, am Großrechner der ETH-Zürich zu programmieren, der die Ausmaße eines ganzen Zimmers hatte und mit Lochkarten zu füttern war; ich bekam aber stets nur "error"-Meldungen und merkte sehr früh: das ist nicht mein Weg. So sehr mich die Algebra als Denkspiel faszinierte, in der Darstellenden Geometrie, die gegen Ende bereits Stoff des ersten Jahres ETH vorwegnahm, gelangte ich zuletzt eindeutig an meine Grenzen. Ohnehin hatte mich der ausgezeichnete Deutschunterricht unter einem sehr jungen Lehrer (Dr. Armin Meng), der mit uns neben meinem persönlichen Augenöffner Shakespeare auch Brecht und Ingeborg Bachmann las, immer viel mehr interessiert.


Noch faszinierter aber war ich vom Geschichtsunterricht. Da bekamen wir nämlich nach etwa einem Jahr den ebenfalls noch sehr jungen späteren Psychoanalytiker und Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim als Lehrer, der uns Max Weber nahebrachte, mit uns schon Horkheimer las und anlässlich eines Besuchstages ca. 1971/72 eine glänzende Einführung in Michel Foucaults Werk "Überwachen und Strafen" gab. Er hat mich denken gelehrt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er bot uns nach dem Abitur auch eine persönliche Studienberatung an. So begann ich, auf seine Anregung hin, querbeet Vorlesungen und Übungen nicht nur in Geschichte, sondern auch Soziologie, Sozialpsychologie und verwandten Fächern zu belegen.


Als im Soziologischen Institut eines Tages alle spontan an eine unbewilligte Protestdemo gegen einen Bombenanschlag in Italien aufbrachen, setzte ich mich auf meine Vespa und fuhr ebenfalls hin. Die Akten, die ich nach der sogenannten Schweizer "Fichen-Affäre" erhielt, zeigen, dass bei dieser Gelegenheit mein erster Eintrag auf einer Karteikarte ("Fiche") bei der Schweizerischen Bundespolizei erfolgte: die Nummer meiner Vespa erlaubte den Rückschluss auf meine Person. Ebenfalls eingetragen wurde, dass ich, als ich meine Rekrutenschule in der damaligen Kaserne Zürich begann, dem "Soldatenkomitee" angehörte, welches für demokratische Rechte in der Armee kämpfte. Als ich eine Unterschriftensammlung machte, in der wir die Freilassung eines wegen einer Bagatelle eingesperrten Mit-Rekruten verlangten, wurde ich vorsorglich festgenommen. Nach fünf Tagen Kasernenhaft bin ich nur deshalb wieder freigelassen worden, weil ich Beschwerde gegen einen Leutnant erhoben hatte, der mir unmittelbar vor dieser Verhaftung erklärt hatte, wenn er ich wäre und sich im Spiegel sähe, würde er sich erschießen ... Der militärische Untersuchungsrichter hatte offenbar ein Interesse, die Sache nicht hochkochen zu lassen und bot mir nach langen Verhören, in denen ich keinerlei Aussagen über meine Zughörigkeit zum Soldatenkomitee machte, sondern allgemeinpolitische und philosophische Gespräche führte, einen Ausweg: Ob ich nicht mal mit dem Waffenplatzpsychiater sprechen wolle? Ich verstand den Wink, unterdrückte beim Rorschach-Test alle positiven, poetischen und schönen Assoziationen, und übertrieb stattdessen negative: Monster, Ungeheuer etc. Das ergab das gewünschte Resultat und ich wurde wegen "Autoritätsproblemen" aus der Armee entlassen.


Die Registrierung dieser Vorfälle (ich war nie in einer Partei) durch die politische Polizei hatte Folgen. Als ich Semesterassistent (sogenannter "freier Tutor") werden sollte, um mit einer Kollegin eine studentische Lehrveranstaltung über "Hexenverfolgungen" abzuhalten, wurde ich kurz vor Semesterbeginn vom Erziehungsdepartement des Kantons Zürich ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Dies, obwohl die Professoren unsere Veranstaltung befürwortet hatten. (Sie fand dann doch statt, und meine Kollegin teilte freundlicherweise ihr Honorar mit mir!) Damals gab es noch keine Hochschulautonomie, und vor einigen Jahren gestand mir der damalige kantonale Erziehungsdirektor, Regierungsrat Dr. Alfred Gilgen in einem persönlichen Gespräch, er hätte damals bei allen Anstellungen regelmäßig eine Anfrage an die Politische Polizei des Kantons Zürich gerichtet. Nach eigenem Gutdünken hatte er den in Deutschland gängigen "Radikalenerlass" am Parlament vorbei im Kanton Zürich eingeführt, wenn auch nicht offen, sondern eben stets ohne Angabe von Gründen. Es war noch immer Kalter Krieg, und Dr. Alfred Gilgen hatte kurz vor seiner Wahl als Regierungsrat eine Ausbildung als Generalstabsoffizier begonnen. Geistig und strategisch befand er sich stets im Spiel-Modus der Vorbereitung auf einen neuen Weltkrieg. Das Offizierskorps der Schweizer Armee bildete damals einen Pfeiler des "tiefen Staats", der im Ernstfall auch im Innern schnell Freund und Feind getrennt hätte, und in aller Heimlichkeit schon mal bei Anstellungen mit dem Aussortieren von allzu freien Geistern begann. Auch im Schweizer Bankenwesen hielten sich die Offiziere gegenseitig die Führungsstellen (und die Kredite) zu.


1980 schloss ich in Zürich mein Geschichtsstudium mit einer Lizentiatsarbeit über Hexenverfolgungen im Waadtland ab. Mein Professor schlug mich für die freie Stelle als Assistent an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Uni Zürich vor. Er hatte in jenem Jahr das Vorschlagsrecht. Aber noch einmal lehnte mich Dr. Alfred Gilgen ab, erneut ohne Angabe von Gründen.


Schon während des Studiums hatte ich an zwei Tagen die Woche (und jeweils einen Monat während der Semesterferien) als Taxichauffeur gearbeitet. Das führte ich nun weiter. Der Vorteil war: Ich kam dabei viel zum Lesen, mochte die Gespräche mit der Kundschaft, bekam Einblicke in ein verborgenes Zürich, nicht so sehr jenes der Vergnügungsindustrie, sondern das des sogenannten Zürichbergs, dem Villenquartier mit Blick auf den See. Und ich konnte ausgiebig Tagebuch schreiben.
Daneben versuchte ich, weiter über die Hexenverfolgungen zu forschen und nahm die Recherchen im Staatsarchiv Bern wieder auf; aber ich ertrug damals die Grausamkeit nicht mehr. Weil ich es zudem als bitteren Mangel empfand, mich nicht mehr mit Philosophie befasst zu haben, begann ich an der Uni Zürich ein Nachdiplomstudium, unter anderem bei Professor Hermann Lübbe. Nachts und an den Wochenenden fuhr ich Taxi; einen Sommer lang kellnerte ich bei schönem Wetter am Zürichsee und meldete mich nur bei schlechtem Wetter zum Taxi-Nachtdienst. In der freien Zeit aber las ich Wittgenstein, Platon, Clausewitz und wollte über Nietzsche schreiben – so sehr ich aber die analytische Philosophie bei ihm schätzte, sein Spätwerk psychologisch zu entschlüsseln wollte mir nicht gelingen.


1983/84 arbeitete ich dann ein Jahr in Lausanne als Internatslehrer in der "Ecole Nouvelle". In dieser Stadt hoch über dem Genfersee hatte ich schon einmal, 1979, zwecks Archivstudien gewohnt. 1994 zog ich für ein Jahr nach Bern. Im Rahmen eines Nationalfondsprojekts zum Thema "Bäuerliche Reformation" war mir eine Halbtagsstelle als Forschungsassistent angeboten worden. Die nahm ich gerne an. Der Kanton Bern hatte keine Vorbehalte. Von 1984 bis 1987 widmete ich mich diesem wissenschaftlichen Projekt. Nach einem Jahr verlegte ich meinen Wohnsitz wieder nach Zürich zurück, da ich die Aufgabe erhielt, speziell die Bauernaufstände während der Zürcher Reformation zu untersuchen. Daraus erwuchs mein Dissertation. Bis 1987 verbrachte ich damals täglich meine Zeit im Staatsarchiv Zürich. Manchmal schweifte ich ab, und wenn eine Prozessakte, die nichts mit meinem Thema zu tun hatte, mich in Bann zog, entstand daraus eine kleine Erzählung entstand. Nebenher besuchte ich zwei Semester lang einen Grundkurs für Altgriechisch. Der Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend hatte in seinen Vorlesungen an der ETH Zürich dazu ermuntert.


In jenen Jahren entstanden eine ganze Reihe Kurzgeschichten, darunter eben auch einige, die auf historischem Material beruhten. Sie wurden in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht.

 

Ebenfalls in jenen 1980-er Jahren schrieb ich mein erstes Theaterstück. Es trägt den Titel "aussterben". Für diesen Stoff hatte ich Ende 1981, Anfang 1982 zweieinhalb Monate in New York und Washington D.C. recherchiert (und darüber im Magazin der "Weltwoche" zwei Reportagen verfasst). Dieses "huis-clos"-Endspiel in einem Atombunker blieb unaufgeführt – als es 1989 endlich fertig war, schienen die Gefahren des Kalten Krieges auf einen Schlag gebannt und Spielszenen über den Wahn der "Mutual Assured Destruction" (MAD) ein obsoletes Gespinst der Vergangenheit.

 

1990 erschien im Limmat Verlag Zürich mein erstes Buch "Geschichte zweier Leben - Wladimir Rosenbaum und Aline Valangin". Es ist die Biografie eines Advokaten und einer Schriftstellerin, die in den dreißiger Jahren in Zürich einen berühmten Salon führten. In der vierten Auflage erschien es 2000 in einer Hardvover-Ausgabe mit einem ergänzenden Kapitel (neuaufgelegt 2002; Lizenzausgabe bei der Büchergilde Gutenberg, 2002). Die neu gesetzte (sechste) Auflage erfolgte im Frühjahr 2018.

 

Meine Dissertation über Bauernaufstände in der Zürcher Reformation wurde 1991 fertig und angenommen. Etliche Male überarbeitet erschien sie 2010 im Chronos Verlag Zürich unter dem Titel: "Reformation als bäuerliche Revolution. Bildersturm, Klosterbesetzungen und Kampf gegen die Leibeigenschaft in Zürich zur Zeit der Reformation (1522-1525)".

 

Seit den Studienjahren betätigte ich mich immer wieder als freier Journalist, zuerst im "Volksrecht", dann in der (damals noch weltoffenen) "Weltwoche", im Magazin des "Tages-Anzeigers" und in der "WochenZeitung" sowie im Magazin der "Basler Zeitung", später auch im "Kleinen Bund", der Wochenendbeilage der Tageszeitung "Der Bund" (Bern).

 

In den neunziger Jahren war ich eine Zeitlang freier Mitarbeiter beim damaligen Süddeutschen Rundfunk (S2 Kultur), der inzwischen durch Fusion mit dem Südwestfunk im Südwestrundfunk (SWR) aufgegangen ist. Für diesen Sender schrieb ich damals neun einstündige Radioessays: über Michel Foucaults Tod, über Urbanität, über den Schmerz, über Grausamkeit, über den Zufall, über Selbstmord- und Brückengeschichten in Bern, über den Nachrichtenspezialisten des Zweiten Weltkriegs Rudolf Roessler, über die Judenverfolgungen in der Schweiz im 14. Jahrhundert und zuletzt über das Verhältnis der Schweiz zu ihrer Geschichte.

 

1991 bis 1994 lebte ich mehrheitlich in Paris.

 

1993 veröffentlichte ich im Rotpunktverlag in Zürich mein zweites Buch, "Schüsse auf die Befreier". Es befasst sich mit der Haltung der Schweiz gegenüber den Alliierten während des Zweiten Weltkriegs.

 

Mein zweites Stück, der Theatermonolog "Leidenberg, Nicolas", entstand 1993/94, noch in Paris, und zwar als persönliche Reaktion auf den Tod von Niklaus Meienberg. Der Text wurde 1996 am Berner Theaterfestival "auawirleben" gelesen und im Dezember 1998 in Bern erstmals ausschnittweise aufgeführt, und zwar in einer vom "Berner Autorenprojekt" (Alexander Sury, Wolfgang Häntsch) besorgten Montage mit einer Geschichte von Urs Richle und einem Stück von Werner Wüthrich ("Happy in Dorado City"). Als "Szenisch-musikalische Lesung in 9 Bildern" hatte "Leidenberg, Nicolas" dann am 24. Oktober 2001 im "sogar theater" (Peter Brunner; Josefstrasse 106, 8005 Zürich) die eigentliche Uraufführung, inszeniert von Otto Edelmann zu Musik von Christian Kuntner (Endregie: Helmut Vogel; weitere Aufführungen: Freitag/Samstag 26./27. Oktober 2001 abends; Sonntag 28. Oktober als Matinée; Donnerstag bis Samstag 1. - 3. November 2001 abends). 

 

Als ich 1994 aus Frankreich zurückkehrte, suchte ich eine Aufenthaltsmöglichkeit in Bern, im Hinblick auf einen Roman über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Für die Recherchen benötigte ich das Schweizerische Bundesarchiv in Bern, und ich wusste, es würde eine jahrelange Beschäftigung werden.

 

Zunächst entstanden nur journalistische Texte. Von 1994 bis 1999 lebte und arbeitete ich in der Region Bern. In Burgdorf, am Eingang des Emmentals, fand ich eine Rückzugsmöglichkeit in Form eines Atelier- und Schreibraumes in einer alten, ehemaligen Fabrik. Zu der Zeit arbeiteten auch die Kunstmaler Martin Fivian und Hans Stalder da, später auch die Kunstmalerin Mirjam Helfenberger.

 

1996 besorgte ich für die Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Zürich, im Rotpunktverlag die Veröffentlichung der autobiographischen Texte des Schriftstellers, Schauspielers, Kabarettisten und Regisseurs C. F. Vaucher: "Charles Ferdinand Vaucher, Aus meiner linken Schublade. Erzählungen eines Lebens. Mit Zwischentexten von Peter Kamber".

 

Danach unternahm ich im Sommer 1996 ausgedehnte Recherchen in Los Angeles für einen Roman zum Thema künstliches Leben, der in Hollywood spielt. Die Niederschrift beendete ich von August bis Oktober 1997 in Berlin. Der Roman blieb bislang ein Fragment; ich will ihn noch um einen zweiten Teil erweitern.

 

1998 erschien im Arche Verlag Zürich/Hamburg der Buch-Essay Titel "Ach, die Schweiz ... Über einen Kleinstaat in Erklärungsnöten". Es handelte sich um eine Art Tagebuch jenes nunmehr bereits selbst Geschichte gewordenen, in Sachen Erinnerungsarbeit entscheidenden Jahres.

 

1997 begann die eigentliche Arbeit an dem ersten Roman "Geheime Agentin", der 2010 im Verlag BasisDruck in Berlin erscheinen konnte (ursprünglicher Arbeitstitel war "Echtheit der Gefühle"): ein historischer Roman über die internationale Geheimdienstszene während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz und über die Wahrnehmung des deutschen Widerstands durch die Alliierten (Rezensionen und umfangreiche Anmerkungen auf www.geheimeagentin.de).

 

Die Kritik nahm den Roman "Geheime Agentin" wohlwollend auf, der Inhalt beschäftigte sie indessen stärker als die Form, die der Versuch war, auf den Spuren von John Dos Passos das Unüberblickbare jener Zeit der Kriegsjahre und des Widerstands gegen die NS-Diktatur durch Montage gegensätzlichster Wirklichkeiten fast ohne Erzählinstanz zur Darstellung zu bringen.

 

Schon im Sommer/Herbst 1997 hatte ich für dieses Buchprojekt mehrere Monate in Berlin verbracht und lebte von Herbst 1999 bis Januar 2002 ganz in der langsam wieder zusammenwachsenden Stadt, dank eines Stipendiums der Stiftung für kulturelle, soziale und humanitäre Intitiativen des 2016 – viel zu früh – verstorbenen Daniel Glass. Der Förderung durch ihn und seine Frau verdanke ich viel.

 

Anfang 2002 war ich in meine Atelierräume Burgdorf zurückgekehrt, um weiter an dem Romanmanuskript zu arbeiten. Von März 2003 bis März 2004 hatte ich danach als Stipendiat der Stiftung Lydia Eymann in Langenthal/Schweiz (inoffiziell so genannter "Stadtliterat" von Langenthal) Gelegenheit, das umfangreiche Manuskript weiter voranzubringen. Es wurde nach acht Jahren Arbeit 2006 in Zürich fertig. Unnötig zu sagen, wie viele Überarbeitungen nötig waren, bis dieser 1385-Seiten-Erstling durch den Mut von Klaus Wolfram im BasisDruck Verlag Berlin im Januar 2010 zum Buch wurde.

 

Zwischenzeitlich durfte ich 2007 im Rahmen des Kino-Stoffentwicklungsprogramms von FOCAL, der "Stiftung Weiterbildung Film und Audiovision" in der Schweiz, eine Komödien-Idee zu einem Drehbuch entwickeln: "60 Monde" ist eine Fruchtbarkeitskomödie zum Thema Eizellen- und Samenspende (und noch unverfilmt).

 

Seit Dezember 2007 lebe ich wieder in Berlin (nur zwischen Februar 2013 und Dezember 2015 war ich längere Zeit in der Schweiz, wegen der Recherchen für einen Roman über das Ende der Hexenverfolgungen im Alten Bern).

 

Im Sommer 2010 entstand mein drittes Stück – die Theaterkomödie "Daniel, Traumdeuter" über einen Psychoanalytiker, der sich auf einer Ferienreise in Ostjerusalem plötzlich für den Traumdeuter am Hof von Nebukadnezar hält.

 

Im Herbst 2011 schrieb ich die Theaterkomödie "Schande über Romeo", eine umgekehrte Romeo-und-Julia-Geschichte, in der diesmal nicht wie im Original ein junges Paar durch Ältere sondern ein älteres Liebespaar durch Jüngere getrennt werden soll, was dann aber selbstredend nicht gelingen darf.

 

Im Frühjahr 2013 beendete ich die erste Fassung eines Romans über die Konflikte während der Zürcher Reformation. Hauptfigur ist einer der Anführer der Täufer, der junge Conrad Grebel. Auf der Flucht stirbt er an der Pest. Damit beginnt die Handlung. Erzählt wird in Rückblenden aus der Perspektive von Conrad Grebels Schwester Barbara. Der Roman, seither mehrmals überarbeitet, bildet den ersten Band in einem "Fundamentalismus"-Projekt (Rechte bei der Liepman Agency Zürich). Möglicherweise kann er 2025 erscheinen - passend zum Gedenken an den Bauernkrieg vor 500 Jahren.


Ebenfalls 2013 entstand auf Grund einer spontanen Idee der Berlin-Emmental-Roman "Folklorekomplex", rund um Tango, Salons, Proust, Baudelaire, Schweizer Rohstoff-Umgehungsgeschäfte und eben Folklore am Beispiel des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests in Burgdorf 2013. Im Oktober/November 2015 überarbeitete ich das Manuskript noch einmal gründlich und stellte es August 2016 hier auf dieser Webseite online.


Sehr lange beschäftigte mich das Leben der Berliner Theaterdirektoren Fritz und Alfred Rotter, die 1933 alles verloren. Die "Rotters" gehören mit zur Legende der Weimarer Republik. Die Nazis jagten sie. Fritz Rotter erzählte einmal: „… und da kam also dieser dicke Göring aus der Garderobe der Dorsch und sagte, als er mich sah: Sobald wir an die Macht kommen, greifen wir uns die Rotters …“ Auf ihrem Höhepunkt betrieben die Gebrüder Rotter in Berlin über ein halbes Dutzend private, nicht-subventionierte Bühnen. Die Übertragung des vom Film bekannten „Starsystems“ auf das Theater wurde ihnen als „amerikanisch“ vorgeworfen, war aber mit ein Geheimnis ihres Erfolgs. Die großen Operettenstimmen von Fritz Tauber und Käthe Dorsch („Land des Lächelns“ 1929), Fritzi Massary („Eine Frau, die weiß, was sie will“ 1932) und Gitta Alpar („Ball im Savoy“ 1932) retteten sie in der Weltwirtschaftskrise. Doch in der Silvesternacht 1932/1933 verließ sie das Glück. Gegenspieler, die danach der NSDAP beitraten, trieben sie mit voller Absicht in den Konkurs, so dass die "BZ am Miitag am 16. Januar 1933 schrieb, es gehe jetzt „um das Sein oder Nichtsein des größten Theater-Konzerns nicht nur Berlins, nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas“. Die Biografie ist März 2020 im Henschel Verlag, Leipzig, erschienen, unter dem Titel: "Fritz und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil".

 

Zurück zur Chronologie: Im Frühjahr 2015 entstand außerdem das Theaterstück „Alkestis wird leben“ (nach Euripides) und im Sommer 2015 die Theaterkomödie "Geld hat man zu haben".

 

2016 beendete ich die Erzählung "Kalliope und Ariadne" (und stellte sie 2017 online).

 

Neben dem allem trieb ich die Forschungen für einen Roman über das Ende der Hexenverfolgungen im Alten Bern voran. Mich interessierte die Erforschung der Gründe für das Aufhören der Hexenverfolgungen und das Entstehen von Skepsis innerhalb eines fast undurchdringlichen fundamentalistischen Denk- und Vorstellungssystems.

 

Der Roman liegt seit Anfang Februar 2019 als Manuskript vor.

 

Der heutige Kanton Waadt (Canton de Vaud) gehörte damals noch zum Stadtstaat Bern. In den sogenannten staatlichen Vogteigerichten und den über hundert, zum Teil kleinsten "privaten" Gerichtsherrschaften der bernisch besetzten Waadt wurden im 16. und 17. Jahrhundert nach Ergebnis meiner Forschungen insgesamt etwa 2000 Menschen wegen Hexerei hingerichtet. Der Roman umfasst den Zeitraum zwischen der Entstehung der ersten Skepsis 1651 und der Hinrichtung der letzten Hexe 1679 – einer Frau in einem Weinbauerndorf über dem Genfersee. Von ihr ist bekannt, dass sie 70 bis 80 Jahre alt war. Es brauchte im damaligen Bern fast drei Jahrzehnte, bis nach ersten aufkommenden Zweifeln die medizinischen, juristischen und theologischen Bedenken endlich das Ende der Hexenverbrennungen herbeiführten.

 

Alle Romanfiguren sind authentisch. Fiktion entsteht nur durch die Auswahl der Bildausschnitte, durch die Montage der Szenen und dadurch, dass ich noch näher an die Figuren herangehe, als die Dokumente für sich genommen erlauben. Aber die dokumentarische Wirklichkeit behielt beim Schreiben absolute Vetomacht. Dieser Roman erlaubt eine verstörende Zeitreise in eines der schlimmsten Kapitel der europäischen Geschichte, am Beispiel von Bern.

 

Gezeigt werden kann, dass die Hexenverfolgungen nicht für sich allein standen, sondern mit den Prozessen wegen Abtreibungen, sogenannter Unzucht usw. ein Syndrom bildeten: Angst, fundamentalistische Theologie, Unkenntnis über Todesursachen und Gründe für Viehsterben bildeten einen beinahe unauflösbaren "Komplex". Namentlich fassbar sind die führenden Vertreter der Fraktion der Hexenverfolger im Berner Rat. Sie lieferten den Skeptikern einen hartnäckigen, gnadenlosen Abwehrkampf. Die Gegner der Verfolgungen wurden immer wieder zurückgeworfen. Das Feld, auf dem die Partie "gespielt" wurde, war der Körper der Gefolterten und ihre Haut. "Fand" sich ein Teufelsmal? Dann war schärfste Folter erlaubt. Ließen sich die Angklagten auf der Folter brechen? Jedes Todesurteil musste im Berner Rat ratifiziert werden. Jedes neue "Geständnis" im Folterverhör schien den Hexenverfolgern Recht zu geben; jedes verweigerte Geständnis und jede klar begründbare Klage der gefolterten, aber standhaft an ihrer Unschuld festhaltenden Personen trugen zum Anwachsen der Zweifel bei. Es ist kein Zufall, wenn es in der Schlussphase des Prozesse einem der Stadtärzte Berns gelingt, mit einer neuen wissenschaftlichen Beweismethode (welche es war, sei hier noch nicht verraten) das Denkgebäude der Hexenverfolger endlich zum Einsturz zu bringen.


Mich interessiert die Herausbildung einer Rationalität bzw. eines Wirklichkeitssinns und eines Vernunftsgebrauchs vor dem eigentlichen Beginn der Aufklärung. Denn die Hexenverfolgungen hören auf, obwohl die Leute weiterhin an die Existenz eines Teufels und an die Möglichkeit der Magie glauben. Und das beweist: Es gibt selbst in einem irrationalen System Kammern der Rationalität. Das Denken hat überall eine Chance. Dieser Befund scheint mir von höchster Aktualität. Es wird von traditionalistischen Kulturen vorschnell verlangt, sie müssten gleich auf Anhieb den Sprung in die "Aufklärung" schaffen; dabei wird vergessen, dass für "uns" in Europa der Rationalismus in der Mathematik, der Jurisprudenz, in der Medizin, ja selbst in der Theologie bis weit ins 18., sogar noch bis ins 19. Jahrhundert hinein viel bestimmender war als die "Aufklärung" im eigentlichen Wortsinn, die zuerst nur wenige Intellektuelle erfasste. Der Roman bildet, obwohl ein eigenständiges Werk, den zweiten Band meines Projekts über die "Fundamentalismen" der europäisch-westlichen Kultur.

 

In den Jahren 2020 bis 2023 wurde auch der abschließende Band dieser Fundamentalismus-Trilogie fertig. Er schildert den Ausbruch der Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts und die Judenverfolgungen im Vorfeld der heranrückenden Pest. Die Stadt Bern, damals noch nicht in der Eidgenossenschaft, spielte eine verhängnisvolle Rolle beim Übergreifen der Verfolgungen aufs Reich. Die Rahmenhandlung spielt 1894 in Paris im Umfeld des Institut Pasteur. Der Forschung gelang in dem Jahr erstmals der Nachweis des Pestbakteriums. Damit war die verhängnisvolle Brunnenvergiftungs-Verschwörungstheorie endlich widerlegt. Mit den Vorarbeiten zu diesem Roman begann ich schon 1993 in Paris.

 

Derzeit arbeite ich an einem philosophischen Buchessay sowie an einem Roman, der im antiken Athen spielt und einen legendären Rhetoriklehrer zur Hauptfigur hat.
 

e-mail: peterkamber(at)web.de

 

 

 


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