23. Januar 1999, Magazin der Basler Zeitung (Nr. 3)  [Hier klicken für die Zeitungsausgabe des Textes]


«...und so bist Du der geschmähteste Dichter der Schweiz geworden»
Die scharf beobachtete Mission des Nazi-Schriftstellers Jakob Schaffner 1940/41 in seiner schweizerischen Heimat
Von Peter Kamber

Autor im Machtrausch: Bei keinem Schweizer Romanautor bereitet es mehr Kopfzerbrechen, über ihn zu reden, als bei Jakob Schaffner (1875-1944), der sich auf dem Höhepunkt einer brillanten Karriere offen als Propagandist des Nationalsozialismus zu betätigen begann. Peter Kamber hat sich das Bundesanwaltsdossier über Schaffner angesehen. Er arbeitet derzeit an einem historischen Roman über die Geheimdienst-Szene Schweiz im Zweiten Weltkrieg; im Basler Magazin Nr. 41 vom 24. Oktober 1998 breitete er bereits einen Teil seines recherchierten Materials aus («Man nannte uns Landesverräter, Hochverräter. Wie J.M. das Versteck des Nationalbank-Goldes im Gotthard an die Nazis verriet»).


Jakob Schaffner, geboren am 14. November 1875 in Basel, ist ein Autor aus dem Giftschrank der schweizerischen Literaturgeschichte ­ weil er zum Nazi wurde. Zuvor galt er als der grösste und virtuoseste Deutschschweizer Autor seit dem Tod Carl Spittelers (1845­1924). Wie konnte er sich das antun: eingefleischter bekennender Nationalsozialist zu werden, der nur deshalb nicht der NSDAP beitrat, weil er aus weitblickenden politischen Ambitionen sich bei der erwarteten baldigen «Eingliederung» der Schweiz ins «neue Europa» ­ wie der maliziöse Tarnbegriff für das grossgermanische Reich lautete ­ nichts vergeben wollte. Jakob Schaffners Geschichte ist die Geschichte eines Scheiterns, dem das Wort «tragisch» nicht zuzubilligen ist, wie der Literaturhistoriker Walter Muschg (1898­1965) in einem Brief an Lily Hohenstein einmal bemerkte (UB Basel, 30.12.1956).

Die Schweiz betrachtete ihn im Winter 1940/41 vorübergehend als Staatsfeind Nummer eins. Ein heftig geführter Kampf um «Meinungen» tobte in der schweizerischen Öffentlichkeit, und erst recht hinter den Kulissen, seitdem die Wehrmacht Hitlers im Frühling 1940 Frankreich niedergeworfen hatte.

Schaffner gab sich nicht nur in Goebbels Wochenzeitung «Das Reich» willig her, die Schweiz zu bekehren. In einem Kurhotel in Baden bearbeitete er im August 1940 bei einem heimlichen Treffen auch Bundesrat Marcel Pilet-Golaz, bis dieser im Wissen und mit Billigung zumindest einiger Bundesratskollegen am 10. September 1940 in Bern offiziell eine vom inzwischen notorischen Nazi-Dichter begleitete Zweierdelegation der damals noch nicht verbotenen «Nationalen Bewegung der Schweiz», empfing: nämlich Max Leo Keller und Walter Hofmann.

Laut einem Telefonabhörbericht vom 26. August 1940 hatte sich Walter Hofmann vor dem Treffen noch äusserst abschätzig dahingehend geäussert, «es sei ihm gleich» [ob die Sache zustande komme oder nicht], «er warte auf viel wichtigere Dinge, als was der P.G. [Pilet-Golaz] ihm bieten könne. (…) Nun, die Herren werden schon noch zu Kreuze kriechen» (Bundesarchiv, E 4320 1970/25; Bd. 9.)

Fünf Tage nach der Audienz, die den Schweizer Aussenminister bekanntlich beinahe das Amt kostete wegen des protzerischen Communiqués der scheinbar plötzlich hoffähig gewordenen Schweizer Nazi-Organisation ­ Walter Wolf belegt in «Faschismus in der Schweiz» (1969) die frappierenden Übereinstimmungen mit dem Parteiprogramm der NSDAP ­, öffnete Pilet-Golaz dem NBS-Führer Max Leo Keller, der kurz vor einer Deutschlandreise stand, auch noch einmal privat bei sich zu Hause die Tür, weil dieser ihm unter Vorspiegelung patriotischer Absichten günstige Einflussnahme für die Sache der Schweiz bei hochrangigen deutschen Persönlichkeiten verheissen hatte (vgl. Erwin Bucher, Zwischen Bundesrat und General, 1991).

Staatsaktion

Als der 65jährige Jakob Schaffner am 29. Dezember 1940 mit seiner zweiten Frau Julia von Berlin herkommend über St. Margrethen in die Schweiz einreiste, wurde während beinahe dreier Monate jeder ihrer Schritte akribisch überwacht. Diese polizeiliche Observierung lässt ihn zeitweilig durch die ganze Dramaturgie des Spähens und Horchens wie ein «Opfer» erscheinen, um so mehr, als seine Frau während dieses Aufenthaltes wegen einer undiagnostizierten schweren Magen- oder Darmkrankheit hospitalisiert werden musste und kurz vor der Rückreise am 19. März 1941 in Basel starb.

Doch Schaffner verfolgte einen klaren Auftrag, und wenn er ein Opfer war ­ dann sein eigenes. Selbst das Datum seiner Einreise war nicht dem Zufall überlassen worden. Seit Monaten war eine Kampage gegen die Schweiz im Gang, an der Schaffner sich mit unerträglich falschem Pathos in vorderster Linie beteiligte. Auch Reichskanzler Adolf Hitler ­ wie damals in der Schweiz statt «Führer» gesagt wurde ­ hatte in seiner Neujahrsansprache die Gelegenheit ergriffen, sich an die Adresse der kleinen, noch nicht eroberten europäischen Staaten zu wenden: «Die demokratischen Zeitungen selbst kleinster Länder sahen es als ihr Vorrecht an, die grösste mitteleuropäische Macht Tag für Tag zu beschimpfen, die führenden Männer dieses Volkes mit beleidigenden Ausdrücken zu belegen, das Regime entweder zu verspotten oder zu verleumden und zu militärischen Gewaltakten gegen das Reich auf-zuputschen!» (zit. nach «Der Alemanne», 12.1.1941).

Schaffner liebte es, eine Speerspitze des Reichs zu sein. Und nicht von ungefähr hatten ihm am 14. November 1940 die Zeitungen Nazideutschlands auf derart euphorische Weise zum 65. Geburtstag gratuliert. Er galt als die vornehmste Stimme im Kreis derer, die die Schweiz zur Anerkennung der neuen, von Panzerarmeen und Sturzkampfbombern geschaffenen politischen Realitäten aufforderten und die Gefahren benannten, die drohten, falls Bekundungen dieser Art von Realismus unterblieben. «Aber der Warner ist immer ungern gesehen auf der Erde», heuchelte die nazideutsche, besonders antischweizerisch eingestellte «Bodensee-Rundschau» (13.11.1940) aus Anlass des bevorstehenden Ehrentages, «und so bist Du der geschmähteste Dichter der Schweiz geworden. Und trotzdem hast du recht gehabt, Jakob Schaffner (...). Denn Du wusstest: das ist die wahre Treue, dem Volk aus allen Irrwegen herauszuhelfen, auch wenn es nicht will (...).» Die «Essener National-Zeitung» schrieb: «Unter den Männern, die seit Jahren nicht nur für eine innere Erneuerung der Schweiz auf völkischer Grundlage arbeiten und kämpfen, sondern auch für eine entsprechende Neuordnung der verfahrenen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem neuen Deutschland, steht der Schweizer Dichter Jakob Schaffner mit an erster Stelle.» Die «Berliner Börsen-Zeitung» räumte ihm diesen Rang ebenfalls neidlos ein: er habe «schon frühzeitig die Grundzüge des Nationalsozialismus als massgebend für den Neuaufbau Europas erkannt».

Gewarnt waren die Schweizer Behörden aber noch in ganz anderer Weise. Streng vertrauliche Informationen des Nachrichtendienstes der Zürcher Kantonspolizei besagten nämlich, dass Schaffner sich für den «Aufenthalt in der Schweiz die Aufgabe gestellt hatte, alles zu unternehmen», um eine Nachfolgeorganisation für die soeben erst am 19. November 1940 verbotene NBS ­ «Nationale Bewegung der Schweiz» ­ ins Leben zu rufen. Verharmlosend sollte sie «Schweizerfreunde des neuen Deutschland» heissen. Dies habe Schaffner dem Gewährsmann zufolge «anlässlich einer gesellschaftlichen Zusammenkunft in Berlin» selbst «erklärt». Die Namensgebung würde es, so lautete der Kommentar, den Schweizer Behörden verunmöglichen, eine solche Organisation anzutasten, «ohne durch eine solche Massnahme schwerwiegende Folgen, wenn nicht diplomatische Verwicklungen mit der nationalsozialistischen Regierung» zu verursachen. «Alle jene Schweizer in der Schweiz, die mit dem nationalsozialistischen Regime sympathisieren, dies aber heute nicht offen tun können, würden sich in Massen der neuen Gesellschaft anschliessen (...).»

Hotel mit Seesicht

In Zürich stiegen Jakob und Julia Schaffner im Hotel Storchen ab, direkt an der Limmat. Alles war offenbar gut eingefädelt, denn sofort «kommt» Jakob Schaffner «festgestelltermassen zusammen mit» Leuten aus dem Führungsrat der verbotenen «Nationalen Bewegung der Schweiz» (NBS), aber auch mit «Bührle, Direktor der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon», der Kontakte mit dem NBS-Mann Ernst Hofmann unterhielt (Bundesarchiv, E 4450/6116; Telefonabhörberichte). Abgefangenen Briefen konnten die Ermittlungsbehörden, welche Schaffner und seine Frau nicht mehr aus dem Auge liessen, entnehmen, dass sie das «Hotel Storchen (...) als comfortable, aber sehr unsympathische Plutokraten- und Fresskiste empfanden und nach der ersten Rechnung auch in facto ablehnten», wie Julia Schaffner, die aus Ostpreussen stammte und seit ihrer Hochzeit in Berlin 1916 mit dem Dichter Schaffner zusammen war, einer Freundin Maria anvertraute: «Man kann ganz servierte Schinken und Mayonnaisen weder mit dem Gewissen noch mit dem Magen mehr vertragen und will solches auch von den andern sehen.» Plutokraten war der nationalsozialistische Kampfbegriff für Kapitalisten, von denen die Nazis sich zwar gerne bezahlen und beliefern liessen, die sie aber gesinnungsmässig verachteten.

Neues Quartier nahmen sie im Hotel Eden au Lac gleich bei der Badeanstalt Utoquai. Einen Raum zum Wohnen und einen zweiten, den sich Schaffner zum Arbeitszimmer herrichten liess. Zu schaffen machte ihnen aber die Kälte. Die Kohlen aus Deutschland waren knapp, und der Winter war so streng, dass sogar der See zufror: «Wir schützen uns in dem Speisesalon mit Pelzen, in den Zimmern durch unsere Wollreste und im übrigen vermittels des Panzers der Genügsamkeit», teilte Frau Schaffner ihrer Freundin weiter mit. «Hier wohnen zahlungskräftige Leute, die wegen Kohlenknappheit ins Hotel gezogen sind mit Kind und Kegel», schrieb Schaffner einer guten Bekannten: «Wer überhaupt Geld hat, kann sich immer einrichten» (28.1.1941).

Aber um wieviel kälter erst muss dieser Januar für die Polizeidetektive gewesen sein, die dem Dichter Schaffner auch dann noch folgten, wenn er nur das Hündchen seiner Frau spazieren führte. Damit «die Bestrebungen Schaffners und seiner Hintermänner so rasch als möglich durchkreuzt werden», schlug der Zürcher Polizeidetektiv, der die Überwachungsoperation leitete, der Bundesanwaltschaft vor, ein «Verbot von Neugründungen von Bewegungen, Parteien oder Gesellschaften, die ideelle oder materielle Unterstützung von kriegführenden Staaten bezwecken», zu erlassen. Aber auf Antrag des Bundesanwalts Franz Stämpfli wurde die Anregung von den zuständigen Bundesräten verworfen.

Erste Indizien, die sich aus der Abhörung des Arbeitszimmers Jakob Schaffners ergaben, deuteten darauf hin, dass die verschworene Gruppe mit dem Geld einiger Geschäftsleute versuchte, sich ein Publikationsorgan zu beschaffen: «Samstag, den 18. Januar, 16.10 Uhr erhält Schaffner Besuch von Dr. [Heinrich] Wechlin von der NBS. Die Unterredung der beiden Herren wird im Flüsterton geführt. Immerhin konnte soviel verstanden werden, dass man eine Zeitung sucht, die für die Belange der besagten Gruppe arbeiten soll. Wechlin erklärte: ‹Eine Zeitung müssen wir unter allen Umständen haben. Und zwar muss es sich unbedingt um eine Tageszeitung handeln. Wenn das jetzt nicht möglich gemacht werden kann, können wir alle einpacken.›»

Aus parallelen, nicht näher präzisierten Ermittlungen erfuhr das wegen Spionageverdachts gegen Schaffner auch miteinbezogene Armeekommando («Spezialdienst über die NBS und die deutsche propagandistische Tätigkeit in der Schweiz»), dass die Führungsgruppe der noch immer intakten «Nationalen Bewegung der Schweiz» über ein ausgeklügeltes internes Abwehrsystem gegen undichte Stellen verfügte: «Von Zeit zu Zeit steigen aus dem Führerkreis der NBS alarmierende Nachrichten auf. Es bedeuten diese Meldungen nichts anderes als Versuchsballone. Man hofft durch solche vertrauliche Mitteilungen, die im Führungskreis unter strengster Diskretion weitergegeben werden, die Verräter unter ihnen eruieren zu können, die seinerzeit den Standort der Geheimakten preisgegeben haben. Es dürfte deshalb solchen alarmierenden Meldungen in Zukunft keine weitere Beachtung geschenkt werden. Heute, den 8.1.1941, sei ein Putsch angesagt; das ist der neueste alarmierende Versuchsballon.»

Schaffner, der Dichter

In dem kurzen biografischen Selbstporträt «Aus meinem Leben», das er 1917 als 42jähriger verfasste, meint Schaffner über seine Geburt: «(...) hätte ich etwas von der Kälte und Säure der Atmosphäre geahnt, in die ich bald fallen sollte, so hätte ich deshalb nicht das ganze Geschäft zu hintertreiben gesucht, denn dafür bin ich zu neugierig, aber ich hätte das Datum noch um acht oder vierzehn Tage hinausgeschoben, um mir in aller Eile wenigstens eine dickere Haut anzuschaffen.»

Sein Vater war Gärtner und besorgte einem Basler Pfarrherrn «dessen herrschaftlichen Garten». Als der Vater starb, war Jakob Schaffner erst acht. Mit der jüngeren Schwester schien er nie gut ausgekommen zu sein. Sie zu hüten «missfiel mir augenblicklich, da es mich in meiner Freiheit behinderte». Die verwitwete Mutter auf jeden Fall entschied, mit der Tochter nach Amerika auszuwandern, ohne Jakob, und diesen ihren Eltern, die im Badischen wohnten, anzuvertrauen. Da fühlte sich der Junge recht wohl und wurde in der Dorfschule auch gleich Klassenbester. Aber dem Basler Pfarrer, in dessen grossem Haushalt die nun aufgelöste Familie Schaffner gewohnt hatte, wollte es offenbar gar nicht gefallen, dass der junge Schaffner nun plötzlich nach Mutters Seite katholisch erzogen wurde ­ «Ich wurde Messknabe und schwang das Weihrauchfass und die silbernen Glöckchen» ­ und nicht mehr reformiert, wie es der verstorbene Vater durchgesetzt hatte. Im Glauben, eine «Pflicht» gegenüber dem Toten zu haben, setzte er durch, dass Jakob Schaffner in die protestantische «Armen-Kinder- und Schullehreranstalt Beuggen» unweit von Basel auf deutscher Rheinseite kam. Das gab zwar reichlich Stoff für den 1922 erschienenen «Johannes. Roman einer Kindheit», mit dem Jakob Schaffner nach zahlreichen früheren äusserst gut aufgenommenen Werken endgültig seinen Ruhm als wichtigster jüngerer Deutschschweizer Schriftsteller begründete, aber die inneren Verletzungen überwand er nie. Die Anstalt war nicht nur eine Schule, sondern gleichzeitig ein auf Kinderarbeit basierender Bürstenbinderbetrieb. Wer sein Soll nicht erfüllte oder das Bett nässte, wurde blossgestellt oder geschlagen, und noch ehe der Junge in sich die Sprachmacht entdeckte, um sich mit Spottversen zu behaupten, lernte er den Hass und «lähmende Furcht».

Nach einiger Zeit kam er in die Anstaltsschusterei und wurde dann mit fünfzehneinhalb einem Basler Schuster in die Lehre gegeben, obwohl es sein «brennender Wunsch» gewesen war, «in ein Berner Seminar zu kommen und Lehrer zu werden». Mit siebzehneinhalb «bewirkte es ein Missverständnis zwischen dem Meister und mir, dass ich vorzeitig aus der Lehre auf die Landstrasse flog».

Die Wanderschaft führte den Handwerkergesellen «durch die Nordschweiz, den Rhein hinunter über Strassburg, Wiesbaden, Elberfeld, Düsseldorf, Antwerpen, Koblenz, Metz und Paris und wieder nach Strassburg, und von da nach sechs Jahren nach Basel zurück». Alle Höhen und Tiefen hatte er durchlaufen, in Fabriken wie in Werkstätten gearbeitet, «immer übel dran, selten glücklich, manchmal zufrieden, oft lustig, manchmal himmeltraurig, einmal selbständiger Meister, dann flüchtiger Bankrottier, einmal angehender Bräutigam einer Büffettdame und Tochter eines vielseitigen Mannes, Klavierspielers, Tanzlehrers, Likörfabrikanten, dann Eisenarbeiter, Kohlenschipper, Freund und Reisegeselle eines abgetriebenen Studenten in Paris, Arresthäftling wegen Spionageverdachts in Toul, Liebhabergeselle in Strassburg, gleich darauf Ränkeschmied und gestürzte Grösse, und endlich nach allen Fahrten wieder kleiner Geselle bei meinem Lehrmeister, der Lust zeigte, mit mir von vorn anzufangen.»

Unterdessen hatte er aber zu schreiben begonnen. Als er in den Guttemplerorden eintrat ­ eine politisch und konfessionell neutrale Bewegung, die völligen Verzicht auf Alkohol verlangt ­, fand er endlich die Förderung, nach der er so lange gesucht hatte. Diese Suche hatte ihn zuvor, noch während der Lehre, auch einmal in einen «evangelischen Jünglingsverein» geführt; da galt er «eine Zeitlang als besondere Nummer, wurde Sekretär und dann ein räudiges Schaf, weil mich die Sache zu langweilen begann». Auch die Heilsarmee hatte er mit einem Freund besucht; er «hatte starke Lust, einzutreten, aber ein Donnerwetter meines Lehrmeisters fuhr dazwischen».

Im Jugendblatt der Guttempler veröffentlichte er eine erste Geschichte, landete mit einer zweiten bereits in einer grossen unabhängigen Zeitschrift, bildete sich neben dem Schustern nachts weiter, und schaffte es nach drei Jahren, sich ganz bescheiden als freier Schriftsteller zu etablieren und die Universität zu besuchen. Die Freundschaft mit dem um zwei Jahre jüngeren Hermann Hesse öffnete ihm den Weg zum S. Fischer Verlag, wo er 1905 als 30jähriger mit «Irrfahrten» einen fulminanten Romanerstling herausbrachte, um dessen Veröffentlichung in der Schweiz er sich umsonst bemüht hatte.

1908 verheiratete er sich ein erstes Mal. Seine aus Darmstadt stammende Frau, Frieda Barth, gebar 1912 den Sohn Wolf Peter, der sich später mit seinem Vater politisch überwarf und im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz überzeugt Aktivdienst leistete ­ sehr zum Ärger Jakob Schaffners, der betont für eine Demobilisierung der Armee eintrat.

Imaginäre Rache?

Zum Nazi war Jakob Schaffner auf dem Umwege über auf Bodenreform zielende sozialistische Ideen geworden. Völkische Reichsbegeisterung trat an die Stelle der alten wilhelminischen, die er ebenfalls schon ohne an sich zu halten während des Ersten Weltkriegs bekundet hatte. Die Verbitterung über eigene Zurücksetzungen, die ihn abwechselnd in verzückt-überspannte Widerstandsregungen und bittere Ressentiments tauchte, tat das ihre dazu. Nietzsche schrieb in der «Genealogie der Moral», im Ressentiment suchten Menschen, «denen die eigentliche Reaktion, die Tat, versagt ist», sich «durch eine imaginäre Rache schadlos» zu halten.

Wie sehr Schaffner zum Beispiel unter der grossen Inflation in Deutschland litt, hält ein Bericht fest, den die Reporterin der Basler «National-Zeitung», Paula Kistler, am 16. September 1923 veröffentlichte. Schaffner hatte sich damals mit seiner zweiten Frau Julia nach Rethwisch an die Ostsee zurückgezogen und eben gerade als letzte verzweifelte Investition für 20 Millionen Mark ein Ferkel gekauft: «Jakob Schaffner lächelt das Lächeln, das sich der Mensch in Jahren der Sorge, des Kummers, der Pein angewöhnt, ein Lächeln, das einem in die Seele schneidet.» Er wisse, dass er «hier ein Exilierter» sei, sagte er, und bekannte schmerzende «Sehnsucht nach der Heimat», die sich gerade an einem «Liebespaket» aus der Schweiz festmachte ­ «Kaffee, Griess, Nudeln, Chokolade, Schweizerkäse usw.» ­, Dinge, die für ihn sonst unerreichbar geworden waren: «Ich kann nie, vielleicht niemals wieder in meiner Heimat wohnen. Mit meinem diesjährigen deutschen Jahreseinkommen kann ich mir knapp einen halben Anzug kaufen, was bekäme ich wohl in der Schweiz dafür? (...) Dann spricht er ­ wieder fällt uns sein Lächeln auf, das einen so unsagbar traurig macht ­ ohne Bitternis und ohne Groll: ich musste als junger Schriftsteller fortwandern aus der Heimat, weil mich kein Schweizer verlegen wollte (...).»

Grossgermanisches Reich

Lily Hohenstein, eine nicht-nationalsozialistische Buchautorin, die im Krieg mit Schaffner und seiner Einstellung haderte, aber den Kontakt zu ihm dennoch nicht abbrechen liess, schilderte 1959 in einem Brief an Walter Muschg, dass Jakob Schaffner 1933, als er in Weimar lebte und die Nazis an die Macht kamen, «die Koffer gepackt» hatte und «schon im Begriff» war, «für immer in die Schweiz zurückzukehren ­ da, unseligerweise, erreichte ihn ein Schreiben der Berliner Dichter-Akademie: seine Ernennung zum Mitglied. So blieb er, gepackt an seiner empfindlichsten Stelle: dem aus seiner Herkunft stammenden Drang nach öffentlicher Anerkennung» (28.11.1956).

Befreundet war er damals noch mit mit dem Schriftsteller Max Tau (1897­1976), der jüdisch war, 1938 nach Norwegen emigrierte und 1950 als erster Preisträger den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.

Walter Muschg formulierte die These, dass das Dritte Reich zu einem «Prüfstein für die Dichter geworden sei, der zwangsläufig alle innere Schwäche und Stärke des Einzelnen» offenlegte (an L. Hohenstein; 30.12.1956). In seinem Werk «Die Zerstörung der deutschen Literatur» (1956) streifte Walter Muschg Schaffner nur mit einem Wort: «Amerika hat seinen Ezra Pound, dem der Hochverratsprozess nur dadurch erspart blieb, dass er sich im Irrenhaus internieren liess, (...) die Schweiz ihren Jakob Schaffner.»

Die Bekenntnislust als narzisstisches Phänomen machte Schaffner leider nie zu seinem Thema. Dafür machte er 1936 ­ nach «Offenbarung in deutscher Landschaft» (1934) ­ im Vorwort zu «Volk zu Schiff», einer von ihm verfassten «Kraft durch Freude»-«Volksgemeinschaft»-Verherrlichung, alles klar: «Man wird es [das vorliegende Büchlein] offen nationalsozialistisch finden. Ich habe den «Nationalsozialismus» im Land seiner Entstehung kommen und wachsen sehen, nachdem ich seit zwanzig Jahren immer wieder die Rückverwurzelung des Volkes in seinen Boden und die Wiedererweckung seiner urangestammten Seelenhoheit gepredigt hatte. (...) [Ich] gebe (...) jetzt meine Zurückhaltung auf, was den Nationalsozialismus angeht, und erkläre heute offen und verantwortlich, dass ich die Grundzüge des Nationalsozialismus als massgebend betrachte für den Neuaufbau Europas. (...) Der neuen schweizerischen Volksgemeinschaft ist das Buch gewidmet, weil ich damit missionierend wirken will (...).»

Schaffner verpasste in den zwanziger Jahren auch stilistisch den Anschluss an die klassische Moderne. «Von einem nicht enden wollenden Jubel» wurde Schaffner am 15. Oktober 1936 in Zürich von den Schweizer Frontisten begrüsst, als er «unter tosendem Beifall» der Menge mit Populismus einheizte. Tags zuvor hatte «Die Front» auf der ersten Seite geschrieben: «Man hat Jakob Schaffner wegen seines Bekenntnisses zum Nationalsozialismus, das nichts anderes ist als ein Bekenntnis zum Volk und zur Volksgemeinschaft, verhöhnt und geschmäht. Wohlan! Gerade darum sind Sie, Jakob Schaffner, uns besonders ans Herz gewachsen.»

Die gleiche «Front», die ihn lobte, erdreistete sich allerdings auch, im Abdruck einzelner Redepassagen am Tag nach der Rede seine Schlagworte nach Belieben zuzuspitzen und in einem Fall gar einen umständlichen Gedankengang Schaffners zum Kalauer abzufälschen: «Wenn man an Dummheit sterben würde, wären alle Fragen der Schweiz gelöst, weil fast alle Schweizer dann ausgestorben wären» («Front», 16./31.10.1936).

Von der NZZ ­ die seinen «Phrasenpomp» und seinen «Drang nach politischer Schaustellung» verspottete und den schwer zu widerlegenden Satz prägte «Schaffner der Politiker ist von Schaffner dem Dichter schlechterdings nicht zu trennen» ­ wurde er vor allem «seiner unschweizerischen, anationalen Haltung wegen» zur Rede gestellt: «Schaffner ist Deutscher. (...) Er fühlt als Deutscher, als Grossdeutscher», fröne «im Banne völkischer Ideologie einem gefährlichen Grossdeutschtum», rücke «in der Stunde der Gefahr von der Fahne seiner Nation» ab ­ er sei «kein Soldat der Eidgenossenschaft» 22./23.10.1936).

Was glaubte er wirklich?

Diesen Eindruck versuchte Schaffner in der Folge so übereifrig zu korrigieren, etwa im Aufsatz «Soldatische Schweiz» (Nationale Hefte 12/1940), dass sich da wie anderswo ernsthaft die Frage stellt, was Schaffner eigentlich wirklich glaubte und was er bloss jeweils glauben zu müssen passend fand. «Freiheit, wie sie dem Mann ansteht, gibt es nur in der Macht und in der Teilhaberschaft an Macht», schrieb er in der «Rheinisch-Westfälischen Zeitung» (3.3.1942). Unter diesem Macht-Gesichtspunkt ist es ihm sogar abzunehmen, dass er sich, wie er zu betonen nicht mehr müde wurde, eine spezifisch schweizerische Form nationalsozialistischer Staatsmacht wünschte, so wie er es 1937 in «Freies nationales Arbeitsvolk» (Nationaler Front-Verlag 1937) formulierte: «In den Alpenvorlanden will der Weltgeist etwas, das es nur hier geben kann, eine Lebensform, die auch neben dem voll entfalteten deutschen National-Sozialismus und dem italiensiche Faschismus, vollends neben dem Sowjetideal ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit behält.»

Vielleicht in keiner anderen Schrift Schaffners als in «Freies nationales Arbeitsvolk», lässt sich besser zeigen, wo bei ihm die «sozialistischen» Forderungen, welche die Hitler-Partei aus der Tradition der Gewerkschaftsbewegung übernahm, ins Nazitum kippten ­ in die Forderung nach völkischer Welteroberung und einem neo-absolutistischen Führer- und Ständestaat, wo angeblich endlich die kleinen Leute das Sagen hätten: «Wir beanspruchen für den National-Sozialismus nicht mehr und nicht weniger als die Führung überhaupt.» Und um die Jahreswende 1940/41 im kalten Zürich war es dann noch einmal Max Leo Keller, der hinter und neben Jakob Schaffner die Fäden in den Händen zu halten schien. Alle hegten sie hochgespannte Erwartungen an die nächsten Schritte des Reiches. Denn auch noch Anfang Januar ging das Sperrfeuer aus dem deutschen Blätterwald in Richtung Schweiz weiter.

Niemand wusste, welchen Staat das waffenstarrende und siegestrunkene Reich, das seit dem Triumph in Paris und der abgebrochenen Schlacht um England ungeduldig auf neue Befehle zu warten schien, als nächstes überrollen würde. Ganz sicherlich war es auch Taktik der Nazis, durch aggressive Drohgebärden alle Länder gleichermassen zu verunsichern. Dann kam das entscheidende Telefon. Max Leo Keller, der nach Berlin gereist war, berichtete am 15. Januar 1941 auf Schaffners Frage, wie es mit der in der Schwebe befindlichen «Angelegenheit» stehe, «dass er heute dort gewesen sei. Man habe gesagt, dass man noch zuwarten wolle (...)». Schaffner meinte: «Aha, das wird nun mal wieder auf die lange Bank geschoben ­ sie sollen machen was sie wollen, das kenne ich schon.»

Fiasko und Tod

Von da an zeigte sich Schaffner, dem auch langsam die Devisen ausgingen ­ sogar den NBS-Volksgenossen Ernst Hofmann musste er anpumpen, da das Geld von Deutschland nur immer verspätet kam, verärgert: «Er sei Nationalsozialist durch und durch. (...) Sein letztes habe er versucht (...). Nun rühre er keinen Finger mehr.» Zudem musste er sich immer mehr um seine erkrankte Frau kümmern und empfing fast niemanden mehr. Was er nicht wusste: Fast zur selben Zeit, am 19. Januar 1941, trifft Hitler Mussolini und erläutert diesem «seine baldige Intervention in Griechenland» (Tagebücher von Graf Galeazzo Ciano), wo Italiens Truppen nach ihren grössenwahnsinnigen Angriffen in arge Bedrängnis geraten waren. Ende März entschloss sich Hitler, neben Griechenland auch noch Jugoslawien erobern zu wollen.

Damit war klar, wie Max Leo Keller anderen Quellen zufolge in jenem Januar 1941 erfuhr, dass die «Frage Schweiz nicht aktuell sei» und das Interesse des Reiches sich ganz auf deren Industrielieferungen richte (Bericht des Bundesrates vom 30. November 1948). In der Grossrazzia vom 10. Juni 1941 gegen die illegalen NBS-Nachfolgegruppen wurde auch Keller vorübergehend verhaftet. Im November 1941 floh er darauf mit anderen nach Deutschland. Nach dem Krieg wurde er zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt.

Schaffner wurde in der Schweiz wegen seiner Gesinnung weder verhaftet noch verhört. Das Resultat aber seiner Reise im Winter 1940/41, die laut Nachrichtendienst der Armee bezweckt hatte, mit Keller «ein neues politisches Programm auszuarbeiten, das dem Führer persönlich unterbreitet werden» sollte, stellte «ein vollständiges Fiasko» dar (20. und 22. 2.1941).

Jakob Schaffner schrieb weiter Artikel. Am 2. Oktober 1943 meinte er in der «Deutschen Zeitung in der Schweiz» unter dem Titel «Maschinen und Kanonen»: «Da marschieren im Frieden die Soldaten der Arbeit, und im Krieg marschieren und fahren die Arbeiter des Krieges. (...) Das Reich nimmt niemand etwas und schenkt allen; es strahlt Leben und Ordnung aus wie die Sonne. (...) Das ist die Predigt der Maschinen und Kanonen. (...) Seht sie an, eure Maschinen: (...) sie sind dazu da, um das Reich schaffen zu helfen. (...) Das Eisen hat es an sich, dass es Grösse will (...). Es hat ein Gift und eine Kälte, die alles zerstören, was kleiner ist, weicher, schwächer und matter. Das Eisen geht nicht nach ‹Kultur›, es geht nach Macht. Wo Macht ist, da begegnen sich ohnehin die Schönheiten. Noch immer hat Macht den Geist um sich versammelt.»

Die Gnade der späten Einsicht blieb ihm verwehrt. Jakob Schaffner starb am 25. September 1944 bei einem alliierten Bombenangriff auf Strassburg, zusammen mit seiner dritten Frau, die er keine vier Wochen zuvor geheiratet hatte. Wieder einmal waren die Koffer schon gepackt gewesen, sogar die Fahrkarten lagen bereit.

Bilder im Originalartikel:

Jakob Schaffner in seiner Kindheit (aus: «Schweizer Illustrierte Zeitung» Nr. 46, 1935). (Bild: Ringier)

«Nebelspalter» Nr. 12, März 1938 (Bild: Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte, Zürich).

Jakob Schaffner am Grossdeutschen Dichtertreffen in Weimar (25. bis 27. Oktober 1940) im Gespräch mit dem Militärschriftsteller und Wirtschaftswissenschaftler Oberstleutnant Prof. Dr. Kurt Hesse. (Bild: Ringier)