7. Juni 1998, SonntagsZeitung (Seite 8)
Opfergold in unseren Vreneli Jetzt ist sicher, dass Schweizer Münzen mit KZ-Gold hergestellt wurden VON PETER KAMBER BERN - Mindestens 200 mit sogenanntem Opfergold versetzte Barren gelangten 1944 in den Besitz der Schweizerischen Nationalbank. 1947 und 1949 wurden sie für die Prägung von Goldvreneli bereitgestellt. Das Gold stammte aus dem Schmuck und aus den herausgebrochenen Zähnen von Opfern in den Konzentrationslagern. Im Auftrag des Wirtschaftsverwaltungshauptamts (WVHA) hatte SS-Hauptsturmführer Bruno Melmer ab August 1942 insgesamt 76 Lieferungen aus Konzentrations- und Vernichtungslagern in Osteuropa an die Reichsbank vorgenommen. Insgesamt 119,5 Kilogramm dieses sogenannten Melmer-Goldes flossen laut bisherigen Ermittlungen der Unabhängigen Expertenkommission (UEK) in das Depot, welches die Deutsche Reichsbank bei der Schweizerischen Nationalbank in Bern unterhielt. Der grösste Teil dieses Opfergoldes gelangte als Beimischungen, verschmolzen mit anderen Reichsbank-Goldbarren in die Schweiz, wie der Goldbericht der Bergier-Kommission nun erstmals aufdeckte. Abrechnungen der Schweizerischen Nationalbank mit der Eidgenössischen Münzstätte zeigen nun, dass solche Barren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl in die 1947er wie in die 1949er Vreneli eingingen. Die Nationalbank stellte der Münzstätte seit Kriegsende laufend Gold für die Münzprägung zur Verfügung. Unter den gemäss UEK-Bericht mit SS-Gold vermischten Reichsbank-Barren stechen vor allem eine Lieferung von 593 Barren und eine von 244 Barren hervor. Die erste war am 23. Februar 1944 in Berlin abgegangen, traf am nächsten Tag in Bern ein und wurde nach entsprechender Kontrolle und Inventarisierung am 29. Februar ins Golddepot der Reichsbank bei der SNB gebracht. Die zweite traf am 16. März 1944 in Bern ein und wurde am 18. März bei der SNB verbucht. Vor diesen beiden Lieferungen hatten auf dem starkbenutzten Golddepot der Reichsbank nur gerade noch 459 Barren gelegen. Aus diesem neuaufgestockten Goldbestand der Reichsbank übernahm die SNB am 7. März 1944 243 Barren, am 24. März 246 und am 5./6. April noch einmal 170, also insgesamt 659 Barren. Rein rechnerisch ergibt sich also, dass die SNB bei diesen Käufen im März und April unweigerlich auch von diesen mit Opfergold vermischten Barren gekauft haben musste. Im "besten" Fall, wenn die SNB zuallererst die 459 Barren des alten Saldos gekauft hätte, von denen nicht ersichtlich ist, dass sie mit Melmer-Gold in Verbindung standen, wären doch noch 200 solcher mit SS-Gold belasteten Barren mit übernommen worden. Vermutlich lag die Zahl aber wesentlich höher. Wie hoch, kann die Nationalbank wegen inzwischen vernichteter Bordereau-Verzeichnisse nicht mehr sagen, erklärt Roland Tornare, Leiter des Bereichs Bargeld und Hauptkassier der SNB, dem heute die Goldlagerung untersteht: "Üblicherweise ist es immer der Auftraggeber, in diesem Fall die Deutsche Reichsbank, der sagt, welche Barren er abtreten will." Keine Unterscheidung zwischen Vorkriegs- und Opfergold Als die Nationalbank sich nach Abschluss des Washingtoner Abkommens auf den Standpunkt stellte, "dass eine Unterscheidung zwischen Münzen, die aus Vorkriegsgold, und Münzen, die aus seit Kriegsausbruch erhaltenem Gold geprägt werden, eigentlich keine Berechtigung mehr hat" (SNB vom 20. Dezember 1946), erhielt die mit der Prägung von Goldvreneli beauftragte Eidgenössische Münzstätte in Bern auch das während des Krieges in Schweizer Besitz übergegangene deutsche Raubgold zur Verarbeitung zugestellt, darunter die Opfergold enthaltenden Barren. Die erste dieser Lieferungen von mit Melmer-Gold vermischten Barren an die Münzstätte erfolgte am 10. Juni 1947 und betraf 250 Goldbarren aus dem Bestand von insgesamt 416 Barren, welche die SNB wie erwähnt am 24. März sowie dem 5./6. April 1944 von der Deutschen Reichsbank übernommen hatte (Bordereau-Nummern 1594 und 1595). Dieses Gold machte sechs Prozent der Vreneli der Serie 1947 aus. Die zweite Lieferung umfasste die 243 Barren, welche die Deutsche Reichsbank der SNB am 7. März 1944 abgetreten hatte. Sie führten in der SNB-Lagerbuchhaltung die Eingangs-Bordereau-Nummer 1591. Unter derselben Bordereau-Nummer wurden diese Barren vollzählig und mit übereinstimmender Gewichtsangabe am 24. Juni 1949 von der Münzstätte übernommen. Diese Goldmenge stellte fünf Prozent der Gesamtgoldmenge dar, die zur Ausprägung der zehn Millionen Vreneli Jahrgang 1949 nötig waren. Mindestens 34 Barren sind zu Vreneli verarbeitet worden Selbst wenn man die 166 Barren auf den erwähnten Bordereaus Nr. 1594 und 1595, die anderweitige "Verwendung" fanden, also nicht zu Vreneli verarbeitet wurden, von der zuvor errechneten Mindestzahl von inkriminierten 200 Barren abzöge, blieben bei konservativer Schätzung 34 Barren übrig, die mit beigemischtem Opfergold in die Goldvreneli der Jahrgänge 1947 und 1949 flossen. Angesichts der Quellenlage lässt sich wohl
nie mehr genau sagen, wieviel Holocaust-Gold Eingang in die Münzen
fand. "Von der Technik des Schmelzvorganges her lässt sich (. . .)
nicht feststellen, wie sich diejenigen Melmer-Barren, die mit andern Goldprodukten
verschmolzen wurden, auf die einzelnen neugeschmolzenen Barren verteilten",
hält der Bericht der Bergier-Kommission fest. Roland Tornare von
der SNB meint: "Die Möglichkeit, dass solche Einzelbarren für
Goldvreneli verwendet wurden, kann nicht ausgeschlossen werden. Selbstverständlich
ist es schrecklich, dass überhaupt so etwas passiert ist, und wir
können das nur bedauern." |