9. März 1997, SonntagsZeitung (Seite 85)
Die Achse Berlin-Ems Neue Dokumente beweisen: Auch Blochers Ems-Chemie war mit den Nazis verbandelt Mit dem Reich verflochten: Zu den wichtigsten Lieferanten der Hovag Ems gehörte die berüchtigte I.G. Farben VON PETER KAMBER * BERN/ZÜRICH - Die Holzverzuckerungs AG Ems (Hovag), Blochers heutige Ems-Chemie, war 1942 mit Lizenzen auf deutschen Patenten gegründet worden und hing entscheidend von Lieferungen aus Nazi-Deutschland ab. Dies zeigen neue Dokumente aus dem Bundesarchiv. In seiner "Klarstellung" verteidigte Christoph Blocher vor Wochenfrist die Schweizer Wirtschaftsbeziehungen mit dem Dritten Reich: "Kein Unternehmen der Schweiz" müsse sich "deswegen einen Vorwurf gefallen lassen". Für einen "eingeschlossenen Kleinstaat" seien "Wirtschaftsbeziehungen mit dem Dritten Reich unumgänglich gewesen". Entschuldigungen und Geldleistungen aus Steuergeldern für die damalige Haltung der Schweizer Wirtschaft bezeichnete Blocher aber als "Verrat an unserem Volk". Noch Ende Februar hatte er gegenüber dem "Blick" betont, seine 1942 gegründete Firma habe keine Geschäfte mit den Nazis gemacht. Er erklärte gleichzeitig, dass die Ems-Chemie kein Geld in den Holocaust-Fonds einzahlen werde. Mit deutscher Lizenz stellte die Hovag Treibstoffe aus Holz her Die Realität sieht anders aus: Die Holzverzuckerungs AG Ems (Hovag), die 1942 ihren Betrieb aufnahm, stellte aus dem Rohstoff Holz "Zucker" her, aus dem dann flüssiger Treibstoff gewonnen wurde. Das Verfahren dazu ging auf deutsche Erfindungen aus dem Jahr 1936 zurück. Einem Berliner Gutachten zufolge hatte Göring bereits im Sommer 1937 veranlasst, das Holzverzuckerungsverfahren zu testen. Zwei deutsche Werke - eines gehörte der I.G. Farben - nahmen im Verlauf des Krieges den Betrieb auf. Die Patente, auf die sich auch die Hovag stützte, stammten von Heinrich Scholler, einem Münchner Techniker. Wie sein Zürcher Anwalt nach Kriegsende versicherte, war Scholler ein "politisch nicht belasteter Erfindungspionier". Schollers Münchner Ingenieurbüro, die Percola GmbH, lieferte für den Bau der Emser Werke "die hauptsächlichen Unterlagen, so vor allem Schemata, Entwürfe von Dispositionen, grundsätzliche Konstruktionen und erforderliche Angaben für die richtige Beschaffung von Maschinen und Apparaten", hiess es in einem Bericht vom 13. März 1943. Nach dem Krieg fielen diese Patente unter die allgemeine Sperre der deutschen Guthaben in der Schweiz. Die Lizenzzahlungen an Scholler, mit denen es die Hovag Ems schon vorher nicht sehr genau nahm, wie aus einem Sitzungsprotokoll vom 26. Februar 1944 hervorgeht, hätten von da an in den Clearing-Fonds der Eidgenössischen Verrechnungsstelle fliessen müssen. Auf Ende 1946 aber stellte die Vorläuferin der Ems-Chemie alle Zahlungen ein, obwohl damals noch weiter mit den Patenten Schollers und seiner Münchner Mitarbeiter produziert wurde. Jahrelange Rechtsstreite waren die Folge. Die Verwandlung von Holz in Treibstoffe war in Domat/Ems ohne ständige Zulieferungen der deutschen chemischen Industrie nicht möglich. Zu den Lieferfirmen für die chemischen Grundprodukte gehörte die berüchtigte I.G. Farben, die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter beschäftigte. Als die Lieferungen Ende 1944 stockten, schrieb die Hovag an die Schweizerische Gesandtschaft in Berlin: "Durch das Fehlen dieser für uns lebenswichtigen Produkte ist unser Werk enorm gefährdet und wir würden über kurz oder lang nicht mehr in der Lage sein, das uns auferlegte Lieferprogramm für den Wirtschaftssektor und die Armee zu gewährleisten." Der dramatische Aufruf zeigt, wie gering der Spielraum der Schweiz in ihrem Bemühen um Autarkie tatsächlich war. Die Hovag-Produktion wurde vom Bund massiv unterstützt Die Hovag war nicht nur von Nazi-Deutschland abhängig, sondern auch von den Kassen des Bundes. Sie wurde mit massiven staatlichen Subventionen alimentiert. "Die Holzverzuckerung wurde in erster Linie im Interesse der Wirtschaftslage unseres Landes gebaut. Deshalb hat der Bund das Unternehmen mit sehr grossen finanziellen Opfern unterstützt", erklärte Nationalrat Grimm am 5. Februar 1942 an einer Kommissionssitzung in Bern. Im Bundesarchiv lagern 13,4 Laufmeter Akten über die Hovag. Mit Unterlagen aus der Vergangenheit seiner Firma konfrontiert, erklärt Christoph Blocher, die "interessanten" Dokumente seien ihm bisher unbekannt gewesen. Sie zeigten, sagt er, "dass die Herstellung des für unser Land und unsere Armee lebenswichtigen Produkts (Aethanol) ohne Bezug von Grundstoffen aus Deutschland" nicht möglich gewesen sei. Zu einer Revision seines Geschichtsbildes, das aus dem Sonderfall Schweiz Schlüsse bis in die Gegenwart zieht, sieht Blocher sich aber nicht veranlasst. * Peter Kamber ist Historiker und Buchautor. |