12. November 1998, Weltwoche (Nr. 46, Seite 59)

Satire-Schule wider Willen
Satiriker Matthias Biskupek seziert kunstvoll und mit
tödlicher Pointe neudeutsche Wirklichkeiten
Von Peter Kamber

Wer den Roman der deutschen Wiedervereinigung sucht, aufgepasst: In seiner ironischsten Variante liegt er nun vor - als Krimisatire. Eigentlich konnte es ja längst nur noch darum gehen, den geeigneten Mikrokosmos zu finden, der im Kleinen das Grosse näherbringt, ohne es direkt zu benennen. Schreiben heisst, Dinge durch haarscharfes Danebenzielen auf den Punkt zu bringen. Tote im Reich der Buchstaben sind uns allemal lieber als Totgeredetes in der Politik. Wenn ernste Menschen beim Lesen einer Mordgeschichte lachen, dann geht es zwar nicht mit rechten Dingen zu, aber um genau diesen Befund ist es dem Autor ja auch zu tun, dem in Sachsen-Anhalt und Berlin lebenden und arbeitenden Satiriker Matthias Biskupek. Die dramaturgische Zuspitzung der «Mordsgeschichte» erfolgt in einem durch und durch künstlichen, Verzeihung, künstlerischen Universum: im Schloss Zockendorf eben, das Kunstschaffenden aus allen Windrichtungen der Republik offensteht und das Biskupek dem real existierenden Vereinigungs- und Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, hundert Kilometer südöstlich von Berlin, nachempfunden hat.

Wenn Künstlerinnen und Künstler der überwiegend zungenfertigen und schriftstellernden Art nur noch mit ihresgleichen zu tun haben, dann können sie was erleben. Die deutsche Alltagshölle Deutschland lauert gerade dort, wo der Rückzug vor ihr mit Werkbeitrag, freier Kost und Logis im Grünen winkt und die gegenseitig verabreichten Grausamkeiten als überhöhte Kultur daherkommen: «Für die Kunst würd' ich mich quälen und töten lassen!»

Wenn die Schuld nicht mehr bei den Verhältnissen liegt, kann man/frau nur noch selbst zum Mörder oder zur Mörderin werden. Die Suche nach dem oder der Schuldigen der Geschichte ist nicht ohne Grund die Essenz des deutschen Kriminalromans. Biskupek meistert dieses Spurensicherungs-, Motiv-, Alibi- und Ausredenspiel mit einem Witz, der im östlichen Deutschland, dieser endlosen Satire-Schule wider Willen, sich seit Tucholskys Zeiten viel lebendiger erhalten hat, als viele meinen. Die Unschuldigen kommen immer als erste dran: «Ich verhafte Sie wegen unterlassener Hilfeleistung, wegen fahrlässiger Tötung und wegen Mordes. Lesen Sie bitte Ihre Belehrung am Computer, und quittieren Sie durch Druck auf diese Taste.»

Gruseliger Dreibuchstabenstaat

Bei der schlimmstmöglichen Meinung der Deutschen über die Deutschen fängt die Demaskierung der trauten Wirklichkeit erst an - Vorurteile warten geradezu darauf, durch den persönlichen Augenschein noch übertroffen zu werden. Die Untoten - Täterseelen wie Opfer - der DDR, dieses «gruseligen Dreibuchstabenstaates», werden einer genauso grausamen Vivisektion unterzogen wie die «eingeflogenen Abzocker» unter den Kunststipendiaten und im Schlossmanagement, die den «Stundenschlag der Geschichte» mit sich bringen: «Die Kunst schreitet auch dort voran, wo der Mensch sein unglückliches Ende findet.»

Gerade in der Schweiz mag überraschen, wie selbstverständlich Biskupek in den Dialogen Einsprengsel des Sächsischen - «typische Verlierersprache» - und des Bayrischen zur Charakterisierung der aufgebrachten Widersacher einsetzt. Auffällig ist auch, wie sehr die ostdeutsch-westdeutschen Wahrnehmungsmuster im Grunde den schweizerisch-deutschen ähneln, was an einer geheimen Affinität aller Kleinen liegen mag, die sich mächtigeren Grossen gegenübersehen.

Opfer des ersten «Mordes» wird übrigens ausgerechnet eine in Zockendorf zu Gast weilende Konzeptkünstlerin aus St. Gallen. In Nebenrollen tauchen auch ein Amerikaner und ein sich pausenlos mit einem estnischen «Kollegen» rumstreitender Russe auf. Den Toten umgehängte «kurz und knapp» formulierte Schilder, denen rasch «Plagiate» folgen, erweisen sich als erstes Indiz: «Wer formuliert kurz und knapp? Lyriker!» Der Erhaltung der Spannung wegen sei hier allerdings nicht verraten, wie die regionale «Schlagzeilen-Zeitung», die dem ermittelnden Polizeibeamten immer um Längen voraus ist, ohne es zu merken, Teil des Mordkomplotts wird. Die als kunstvolle Installation getarnten Delikte finden im kunstvoll erzeugten Medienereignis auf jeden Fall erst ihren höheren Sinn: «Was wir aber hier tun, tun wir doch alles nur wegen der Öffentlichkeit.»

Die deutschen Verhältnisse werden nicht einfach durch den Kakao gezogen, sondern finden in diesem kurzen, gelungenen Roman ein wunderschön stimmiges Bild, und wenn wir über die Betroffenen im Buch auch boshaft zu kichern vermögen, so wissen wir doch genau, dass ihre Betroffenheit am Schluss unsere eigene ist.



Matthias Biskupek: Schloss Zockendorf. Eine Mordsgeschichte.
Gustav-Kiepenheuer-Verlag, 1998. 141 Seiten, Fr. 23.-

Bild: Mordsmässig im Schuss: Ein Krimi, der DDR-Relikte und Untote durch den Kakao zieht

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