Eine gute Freundin von mir verlor ihre Schwester durch Tod und sie dachte über einen Sinnspruch für die Traueranzeige nach.
Zitate aus der schönen Literatur gab es keine passenden, bis sie auf eine Äußerung im Netz stieß, die vielfach geteilt, auch ihr Gefühl traf. Verfasserin oder Verfasser schien niemandem mehr bekannt:
"Wenn ihr an mich denkt, seid nicht traurig. Erzählt lieber von mir und traut euch lieber zu lachen. Lasst mir einen Platz zwischen euch, so wie ich ihn im Leben hatte."
Den frühesten Beleg finde ich in einer Todesanzeige für Werner D. aus Ratingen im Jahre 2009, abgebildet in "Wir sind unfassbar: Neue ungewöhnliche Todesanzeigen. Aus die Maus 2 (2010)."
In dieser Todesanzeige sind die Sätze ohne Anführungszeichen abgedruckt - es wäre also möglich, dass es die Abschiedsworte von Werner D. sind. Die ihm am nächsten stehende Frau, die mit "Deine Leni" zeichnet, hätte sie dann wörtlich protokolliert.
Aufschluss gäbe bloß eine etwas indiskrete Recherche vor Ort, in Ratingen. Leni und Werner verloren den Humor offenbar bis zuletzt nicht, denn neben dem Abschiedswort prangt schwarz-weiß ein Jägermeister-Hirsch mit Kreuz. Mit Anführungszeichen ist dazugesetzt:
"Geht zurück ins Leben und lacht für mich weiter."
Das sollten wir wohl tatsächlich besser tun, solange wir können.
Leicht abgewandelt, bringt übrigens auch Ernst Engelke den Spruch in seinem Buch "Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker. Wie Kommunikation gelingen kann" (2012), und zwar im Kapitel 15 ("'Ich würde noch sehr gern bei Euch bleiben.' - Letzte Abschiede sind schwer", Seite 118):
"Wenn ihr an mich denkt, seid nicht traurig, sondern habt den Mut, von mir zu erzählen und zu lachen. Lasst mir einen Platz zwischen Euch, so, wie ich ihn im Leben hatte."
Nachsatz: Doch verstehen wir uns richtig - kein Schabernack vertreibt Trauer auf Dauer. Selbst wer nie an einem Totenbett saß und auch in der näheren Umgebung noch keine echte Trauererzählung hörte, wird schon bei flüchtigem Blättern in "Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker" merken, dass der Glaube, das Sterben ließe sich weglachen, eine Illusion wäre.
Ganz abgesehen davon erlauben viele tragische Todesfälle - bei Unglücken, Katastrophen, Kriegen, Epidemien und Pandemien etwa, aber auch bei Schlaganfällen - gar keinen Abschied und sind deshalb so traumatisierend.
Ernst Engelke schreibt auch von Sterbenskranken, die "wütend" werden auf "auf die gedankenlosen Gesunden, die sich nicht ein bisschen in meine Lage versetzen können" (Seite 256).
An einer anderen Stelle meint er: "Sterbenskranke können ihre zahlreichen Verluste nicht mehr in ihr Leben integrieren. Dazu fehlt ihnen die nötige Zeit. Zudem erleben sie und müssen es erdulden, dass die Menschen in ihrer Umgebung ihre Wehmut und Verzagtheit nur mit Mühe ertragen. Das ist für Sterbenskranke ein Grund mehr, ihre Trauer zu verstecken." (S. 113)
Zum Schluss aber hält Engelke doch fest: "In Lebensgefahr drückt Humor eine wenn auch noch so kleine Hoffnung, die Gefahr zu überwinden, aus. In diesem Humor steckt der optimistische Hinweis, dass man (frau) sich der Situation nicht ohne Widerstand ausliefert. (...) Humor kann auch eine Flucht vor der Verweiflung sein. (...) Humor (...) stiftet Gemeinschaft." (Seite 354)
Solche Bücher sind Einladungen zu eigenem philosophischen Denken. In der Antike gehörte die Beschäftigung mit dem eigenen Tod ganz selbstverständlich zur Philosophie. Menschen sahen sich im Unterschied zu den (zuletzt häufig recht ironisch gesehenen) Gottheiten ausdrücklich als "Sterbliche". Sich vor dem Eingang ins Schattenreich keinerlei Schmerz anmerken zu lassen empfahl nur die stoische Philosophie, die konkurrierende epikureische gestattete es, neben der Lust im Leben auch Schmerz, Leid und Trauer zu zeigen.
Seltene Größe erreicht, wer angesichts des Todes nicht selbst getröstet zu werden braucht, sondern aus Mitleid mit denen, die wie Gespenster sonst vor jahrelanger Trauerarbeit stehen würden, erlösende Worte findet.