Was antworten auf „Halt die Fresse, du F*tze“, „Halt die Fresse, du N*tte"?
Am Dienstag, 9. März 2021 – keine 24 Stunden nach dem Internationalen Frauentag, wie zu betonen ist – wurde ich circa 20.30 Uhr auf dem Fahrrad im Berliner Park am Gleisdreieck Zeuge eines verbalen Übergriffs. Beim Vorbeifahren hörte ich einen jungen Mann, wie er sich gegen eine ihm unbekannte junge Frau umwandte. Kühl, laut und mit unüberhörbarem Genuss der Macht, die er mit seinem sexualisierten Sprachterror ausübte, sagte er: „Halt die Fresse, du F*tze“, „Halt die Fresse, du N*tte".
Die junge Frau stand am Rand einer gemischten Gruppe Jugendlicher, die fast die ganze Breite des Parkwegs belegte. Durch einen schmalen Streifen kurvte ich und ich überholte gerade in dem Moment auch den jungen Verbal-Angreifer, der vielleicht genervt durch das Rudel anderer Jugendlicher, auch ein Wort dieser jungen Frau aufschnappte, das ich aber nicht hörte.
Ein Fall aus der Geschichte macht nicht der unmittelbare Anlass, sondern die stereotype Sprache und die förmlich ritualisierte Sprechhaltung des Angreifers, als wären diese Worte tausendmal gehört und eingeübt.
Ich drehte den Kopf und sah, wie er, nach ein paar Schritten, offenbar auf eine inzwischen erfolgte verbale Replik kehrt machte und herausfordernd zurück auf die Gruppe Jugendlicher zuschritt. Nun herrschte Kriegszustand. Er war vermutlich etwas älter als die Jugendlichen, fühlte sich stärker, ihnen überlegen, oder ließ das zumindest so erscheinen. Dominanzgehabe.
Ort des Vorfalls war der langezogene Weg zwischen der Skateboard-Anlage im Park am Gleisdreieck und dem „Café zum Glück“/“Tor eins". Eine Laterne beleuchtete die Szene.
Auf meinem Rad war ich langgsam weiter gerollt, blickte mich nochmals um, blieb kurz stehen. Ich hörte Geschrei. Da das Zahlenverhältnis aber 20 : 1 und der Angreifer chancenlos war, dachte ich als 67-jähriger Autor, dass dies eine Peergruppen-Angelegenheit bleiben sollte, und fuhr weiter.
Seither aber denke ich als Mann darüber nach, was auf eine sexistische Beleidigung wie „Halt die Fresse, du F*tze“, „Halt die Fresse, du N*tte" die passendste Entgegnung wäre, umsomehr, als ich mir am internationalen Frauentag (nach den zahlreichen Radioberichten zum Thema) anlässlich der Demo "Unter den Linden" die Losungen notiert hatte, die, auf Kartons und Transparenten geschrieben, von den überwiegend sehr jungen Frauen mitgetragen wurden (ein Generationenwechsel hat stattgefunden, scheint mir), u.a.:
- "Respect my existence, expect my resistence"
- "If you are not angry, you are not paying attention"
- "Stop the violence now"
- "Schwestern, lasst uns die Welt schaffen, die wir brauchen"
- "Stop sexualizing us"
- "Wir haben ein Rudel heulender Hunde in uns, und wir haben nicht vor, es zum Schweigen zu bringen"
- "Listen to women every day"
- "Don't tell me what to wear, tell them not to rape"
- "Break the silence"
- "Riot more"
- "Fight sexism in your work, home, streets ... Internet"
- "God is a woman"
- "Ich gender dir einen"
- "We just wonna have fundamental rights"
- "Love sex, hate sexism"
- "Smash Patriarchy"
1. mögliche Antwort:
Rein sprachlich gesehen handelt es sich beim ersten Anwurf, "du F*tze", um eine rhetorische Figur, die einen Teil zum Ganzen macht: eine sogenannte Synekdoche.
Eine Entgegnung auf derselben obszönen Stufe wäre folglich, den Angreifer mit dem Namen für dessen eigenes Genital zu bezeichnen, eventuell in Verkleinerungs- oder Verniedlichungsform, mit der Variante, den Kopf und den Hals des Angreifers mit der Gestalt seines Sexualorgans zu vergleichen. Aber was hieße das?
Wäre es – wenn die Gestalt des abzuwehrenden sexistischen Anwurfs so durchschaubar stereotyp und gewollt krud ist – nicht besser, die Sprache selbst zu verändern? Sich nicht auf dieselbe Stufe zu stellen?
Oder wären Sätze hilflos, die auf eine andere Ebene zielen? Wie etwa: "Was für ein Unsinn!" Oder: "Den Kopf voller Vorurteile, was?" Oder: "Womit kommst du gerade nicht klar?" Oder: "Ist es so schwer, als Mann vor einer starken, gleichberechtigten Frau zu stehen?"
Die sexistische Sprechsituation ist vom Angreifer so gewählt, dass er jede direkte Zurückspiegelung seiner Worte als schwere Beleidigung auffassen würde, wohingegen er sich zu seinen eigenen beleidigenden Ausdrücken stets berechtigt glaubt. Die Kampfpose selbst markiert bereits fehlende Symmetrie.
Das Gespräch soll eben seiner Auffassung nach nicht von gleich zu gleich erfolgen. Es soll gar kein Gespräch sein, beabsichtigt sind nur Einschüchterung und Erniedrigung. Die abschätzigen, obszönen Worte haben die Funktion einer Blendgranate, sollen durch den Schock lähmen.
Die Worte kommen dem Angreifer zugleich aber fast zwangshaft über die Lippen.
Deshalb wäre es in ungeschützer Lage wohl ratsamer, die Sprechsituation zu verändern, was hieße: die Beleidigung sofort als Beleidigung einzustufen, nicht auf sie einzugehen, sondern sie förmlich zurückzuweisen, und auch nicht auf das "Du" einzutreten:
"So peinlich!" Oder: "Warum glauben Sie, mich damit/mit solchen Schweinereien beleidigen zu können?" Oder: "Wer sind Sie, dass Sie glauben etc." Oder: "Wer sind Sie, dass Sie gleich obszön werden?" Oder: "Macht es Ihnen Spaß, obszön/schweinisch/wie ein Schwein zu reden?" Oder am einfachsten: "Geht's (vielleicht/zur Abwechslung) auch ohne Obszönitäten/Schweinereien?"
2. mögliche Antwort
Psychologisch offenbart obszöne verbale Gewalt bei Männern, die so reden zu müssen glauben, eine tiefsitzende Obsession. Sie setzen das weibliche Geschlecht als Teil für das Ganze, sehen die Frau nur geschlechtlich.
Sich aus dieser Zumutung zu befreien wäre also vordringlich. Zum Beispiel in der einfachsten Form: "Belästigen Sie mich nicht!" Oder: "Was wollen Sie mit dieser Provokation?" Oder: "Wie heißen Sie? Ich zeige Sie wegen Beleidigung/Belästigung an!" Oder: "Verschonen Sie mich mit Ihren sexuellen Obsessionen!" Oder: "Sie leiden unter Zwangsvorstellungen!"
3. mögliche Antwort
Der wunde Punkt bei Männern, die mit sexualisierter Sprache andere verletzen und Macht über sie ausüben wollen, sind in aller Regel die eigenen, schambesetzten Sexualphantasien. Deshalb imaginieren diese Männer die Frauen, die ihnen in die Quere kommen, als herumwandelnde Sexualobjekte, als eine riesige, menschengroße Vulva oder als "N*tte", das heißt als Sexarbeiterin.
Das Problem bei Jugendlichen oder Männern, die so verächtlich reden, ist, dass sie sich selbst verachten, wenn sie einer sexuellen Erregung nachgeben.
Der Angreifer weiß objektiv, dass die Frau, die er mit dem besagten Wort belegt, nicht "anschafft". Zweck der Rede ist nur, sie herabzusetzen, ihr in seinen Augen jede Ehre abzusprechen: besitzen, beherrschen und paradoxerweise eben deshalb verachten.
Mit der Entgegnung in dasselbe Muster zu verfallen – durch eine gleichwertige oder entsprechende Verachtung – wäre ein sprachliches Abgleiten auf eine nicht selbst gewählte Ebene der Schein-Argumentation.
Um das zu vermeiden, könnte eine Replik folgender Art hilfreicher sein:
"Sie phantasieren/ sind wohl gerade am Phantasieren. Oder: "Sie verfallen wohl gleich in ein Delirium/ Sie sind am derilieren?"
4. mögliche Antwort
Eine letzte Steigerung wäre, dem verbalen Angreifer zu unterstellen, er geile sich mit solchen Worten auf. Aber damit wird die Sprechsituation selbst nicht verändert, im Gegenteil.
Denn wenn der Angreifer die Absicht hat, zu beleidigen, dann ist er auch wirklich darauf aus, zu kränken und das Gegenüber durch Sexualisierung zu verletzen. Es darf ihm nicht gelingen. Die Sprachebene muss wechseln. Ihm dieses Gefühl des Triumphs zu verweigern, bedeutet schon den Sieg über ihn.
So wird der direkte Wortkampf vermieden. Die Lage eskaliert sonst leicht und wird potentiell lebensgefährlich.
Es mag besser sein, das Arsenal äquivalent beleidigender Antworten nur im Kopf zu haben und in der eigenen Gruppe zu besprechen, ohne solche Erwiderungen tatsächlich je zu verwenden. Das Leben ist kein Kinofilm.
Wenn Männer zu sexualisierter verbaler Gewalt greifen, dann sind sie "geladen".
Ratsam scheint es, von vornherein durch Körperhaltung und Mimik deutlich zu machen, dass die Obszönitäten abprallen und ihr Ziel verfehlen.
"Wir redet denn der?" Oder: "Wen meint er? Spricht er gerade mit sich selbst?" Oder: "Gehen Sie bitte weiter! Ich habe mit Ihnen nicht zu schaffen!"
Antworten auf Beleidigungen zwar parat zu haben, aber nicht auszusprechen, schützt davor, dass die Beleidigung durchdringt. Ein heftiger Wortkonflikt bindet hingegen und trifft tief.
Mit einer solchen Person nichts zu tun haben zu wollen soll zuallererst zum Ausdruck gebracht werden, verbal und nonverbal.
Die Verachtung muss auf den verächtlich redenden Angreifer zurückfallen, damit er sich solche sexualisierte Hassrede (hoffentlich) abgewöhnt, und über das eigene Verhalten (das wäre zu wünschen) Scham empfindet.
In "Pay Your Way In Pain", dem neuesten Titel der amerikanischen Songschreiberin und Gitarristin St. Vincent heißt es:
Oh-oh-oh
You got to pay your way in pain
You got to pray your way in shame
...
Die Notwendigkeit, "ein neues Sprechen" zu "üben", betont auch die Autorin Küvra Gümüşay in ihrem Buch "Sprache und Sein" (2020): "nach einer Sprache" suchen, "in der wir alle als Menschen in unserer Komplexität gleichberechtigt existieren können."
Nachtrag (13. März 2021)
Im Zeitalter des Zaubereiglaubens und der Prozesse gegen Frauen (und, wenngleich in geringerer Zahl, Männer) wegen angeblicher Hexerei musste auf haltlose und verletzende Anwürfe rituell geantwortet werden:
"Ich bin eine genauso ehrenhafte Person, wie Sie sein mögen."
Dann traf die Beschimpfung nicht und blieb auch juristisch folgenlos. Diese Worte vernehmlich auszusprechen stellte eine Kraftprobe dar, von der das eigene Leben abhängen konnte.
Die Hexenverfolgungen gingen erst zu Ende, als Verleumder und Verleumderinnen wegen Ehrverletzung gebüßt und zur Rechenschaft gezogen wurden. Ähnliches wird für sexualisierte verbale Gewalt gelten. Es darf für sie keinen Platz geben.