(Längere Fassung eines Artikels, der am 27.1.2022 in der "Wochenzeitung", Zürich erschien)

 

Inge Ginsberg | 27.1.1922 - 20.7.2021

 

 

Sie arbeitete 1944/45 für den amerikanischen Geheimdienst OSS und im italienischen Widerstand.

 

In einem 2014 in den USA veröffentlichten Gedicht schrieb sie:

 

Mein Herz

 

Noch darfst du nicht müde werden
Noch sind unsere Pflichten nicht getan
Hämmere, schlage, bohre, kämpfe
Aber gib nicht auf
DU ARMER, EINSAMER, KLEINER, TAPFERER TROMMLER.

 

“Das Wichtigste im Leben ist Überleben”, sagt sie mir am 24. September 2020, damals 98-jährig, vor der Kamera.

 

Nach dem Krieg arbeitete Inge Ginsberg und Otto Kollmann, ihr erster Gatte, im Musikgeschäft, auch in Hollywood. Er komponierte, sie verfasste Liedverse.

She worked for the American Secret Service OSS and the Italian Resistance 1944/45.

 

In a poem published in the US in 2014, Inge Ginsberg wrote:

 

My Heart

 

You can’t be tired yet
Our work is yet to be done
Hammer, strike, drill, fight
But don’t give up
POOR, LONELY, BRAVE, LITTLE DRUMMER.


“The most important thing in life is to survive,” she told me on the 24th of September at the age of 98 on camera.

 

After the war Inge Ginsberg and her first husband Otto Kollmann work in the music business, partly in Hollywood. He composed and she wrote songs.

 

 

“Das war die große Auseinandersetzung”, erzählt sie. “Er hat gesagt, er will Symphonien schreiben. Hab ich gesagt: ‘Dann wirst du verhungern, du musst Schlager schreiben!’” “Ich habe ihn kennengelernt, da war er auf der Bühne, und hat mit der Zarah Leander ein Lied gespielt - 1936 im Theater an der Wien. “Und zwar hat sie gesungen: ‘Gebundene Hände! Das ist das Ende/jeder verliebten Passion!/(…)/Und doch ohne Ende/tragen die Hände/Fesseln der Liebessklaverei!’” Sie fügt hinzu: “Das denke ich mir jedes Mal, wenn ich mit einem Mann eine Liaison beginne, das wird genauso eine Liebessklaverei.” Mit ihrem zweiten Ehemann, Hans Kruger, lebt sie in Tel Aviv, mit ihrem dritten, Kurt Ginsberg, in Quito/Equador und in New York. „Alle drei waren Wiener Juden”, ergänzt sie. Überlebende wie sie. “Ich habe immer gedichtet, und Sachen geschrieben.” Schon seit sie 3 Jahre alt war, sagt sie.

That was the topic of an on-going discussion between them, she recalls, “He said, he wants to compose symphonies and I said, then you will starve to death, you have to write popular songs! When I first met him, he was on stage playing a song with Zarah Leander in 1936 in the Theater an der Wien. And she sang, ‘Enchained hands! That is the end of every passion in love! (…)/And yet without end/ the hands bear/ the bondage of their enslavement to love!’” She added, “Every time I start a new relationship with a man, I think it’s going to be another enslavement to love.” She lives with her second husband Hans Kruger in Tel Aviv and with her third one, Kurt Ginsberg, she lives in Quito/Equador and in New York. „All three were Jews from Vienna.” Survivors like her. “I’ve been writing poetry and different things since I was three years old,” she says.

 

 

Schon in hohem Alter, macht sie aus ihren eigenen Gedichten Musikvideos im Metal Stil. “Mit 90, wie ich 90 war, hat meine Singkarriere begonnen. Ich kann ja nicht singen.” „Inge & the TritoneKings“ traten 2016 auch im Schweizer Fernsehen auf. Die New Yorker Filmemacherin Leah Galant widmet ihr 2018 den Kurzfilm „Death Metal Grandma“, der auf der auf dem „docnyt.net“-Portal der New York Times weltweite Verbreitung fand.

Even in her later years she creates heavy metal style music videos from her poems. “My vocal career began when I turned 90. I can’t really sing.” Nevertheless, Inge & the Tritone Kings appear in Swiss television in 2016. In 2018 New York film-maker, Leah Galant, dedicates a short film to the „Death Metal Grandma” which receives world-wide coverage on the New York Times portal (docnyt.net)”

 

 

Musik, Politik, Verfolgung

 

Ihr Vater, Fritz Neufeld, besaß in Wien ein Speditionsunternehmen, im 6. Bezirk an Liniengasse, zuerst nur mit Pferdekutschen, dann auch mit ein bis zwei Lastwagen. Die Wohnung liegt an der Wasserburgergasse 2 im 9. Bezirk. Sie sind eine jüdische Familie. Der Vater, so weiß sie noch, trägt immer Würfelzucker in der Hosentasche, für den Fall, dass er eines seiner Fuhrpferde antrifft. 1938, nach dem sogenannten Anschluss und dem Novemberpogrom, wird Inges Vater verhaftet, ausgerechnet von einem seiner Chauffeure, der sich immer als links ausgab, aber ein heimlicher Nazi war. Fritz Neufeld wird von Wien ins KZ Dachau gebracht. Die Firma wird ihnen weggenommen. Inge versucht alles, um ihn freizubekommen. Einmal verspricht einer, ihr im Hauptquartier der SS eine Hintertür offen zu lassen. So kann sie vorsprechen – und erhält als 16-Jährige für den Vater einen Entlassungsschein.

Music, Politics, Persecution

 

Her father, Fritz Neufeld, owned a transport company in Vienna, in the 6th district on Liniengasse. At first, he had horse carriages and then one or two trucks. The apartment was in Wasserburgergasse 2 in the 9th district. They are a Jewish family. Her father, she remembers, always carried sugar cubes in his trouser pocket, in the event he should run in to one of his horses. In 1938, after the annexation and the November Pogrom, her father is arrested through one of his chauffeurs– of all people– who made himself out to be a Leftist, but was secretly a Nazi sympathizer. The business is taken away from him and Fritz Neufeld is taken from Vienna to the Concentration Camp in Dachau. Inge does everything she can to free him. Once someone promised her even to leave the back door open at the SS Headquarters so she can speak to them in person and the sixteen-year-old receives a release paper for her father.

 

 

Er kommt am 1. Februar 1939 aus Dachau zurück, abgemagert, kurz geschorenes Haar, und muss unverzüglich seine Ausreise betreiben. Auf dramatischem Umweg – sein Schiff, die St. Louis“ darf in keinem US-Hafen einlaufen - kommt er nach England, kann aber die Familie wegen Kriegsbeginn nicht mehr nachziehen. Inge muss das Gymnasium verlassen und beginnt eine musikalische Ausbildung. Leiter der Umschulung ist der junge Otto Kollmann, ihr späterer Verlobter. „Das war eben, dass Kinder, die etwas Klavier spielen konnten, an der Straßenecke mit dem Akkordeon betteln können, um sich zu ernähren.“ Doch mit Musik ist bald Schluss. Otto und Inges junger Bruder arbeiten als Totengräber. Sie selbst leistet in einem Hinterhof der Wiener Mariahilferstraße 101 in der kleinen, aber wehrwirtschaftlich wichtigen Nähfadenspinnerei Hermann Fischer & Sohn Nachtdienst – und wohnt von da an bei ihrer Tante Olga. Im Mai 1942 wird diese von der Gestapo abgeholt, zusammen mit dem Onkel, Dr. Moritz Bock, einem unter Berufsverbot stehenden Anwalt.

He returns from Dachau emaciated with cropped hair on February 1st, 1939, and must immediately begin to organize his immigration. Via a dramatic and circuitous route – his ship, The St. Louis, cannot dock in any US harbor – he arrives in England, but the family cannot follow because the war has just broken out. Inge has to leave high school and begins music instruction. The director of the retraining program is the young Otto Kollmann, her later fiancé. „This was so that children, who could play a little bit of piano, could stand on the street corner with the accordion and beg in order to have enough to eat.” Music instruction comes soon to an end. Otto and Inge’s younger brother work as grave-diggers. While living with her Aunt Olga, Inge worked the night shift for a small, yet significant for the defense economy, sewing-thread spinning company, Hermann Fischer & Sohn, located in a recessed backyard behind Mariahilfer-Straße 101 in Vienna. In May of 1942 her aunt Olga is fetched by the Gestapo together with her uncle, Dr. Moritz Bock, a lawyer prohibited from practicing law.

 

 

Untertauchen

 

Als auch die Großeltern Nathan und Charlotte deportiert werden und schließlich im September 1942 der Befehl eintrifft, ihre Mutter Hilde, ihr Bruder Hans und sie und Otto hätten sich zum Transport nach Osten am Aspangbahnhof, dem Wiener Deportationsbahnhof, einzufinden, fasst Inges Mutter einen Entschluss. Sie lassen nur ihr Gepäck hinbringen.

Underground

 

When the grandparents Nathan and Charlotte are deported and the order arrives in September of 1942 for her mother Hilde, her brother Hans, Inge and Otto to appear at the Aspangbahnhof, the deportation train station for Vienna, Inge’s mother makes a decision. They have only their luggage brought to the station.

 

 

Sechs Wochen lang sind sie in Wien ständig auf der Flucht. Sie überleben nur dank Inges kommunistischen Freunden. Der Besitzer der kleinen Zwirn- und Nähseidenfabrik, Hermann Fischer, verschafft ihr durch die Kirche ausgestellte Geburtsurkunden: Diese falschen Papiere bieten die Chance, Wien hinter sich zu lassen. Ein ehemaliger Verehrer der Mutter kennt Leute, die sie sicher über die Grenze bringen.

For six weeks they are constantly in flight. They only survive thanks to their Communist friends. The owner of the little sewing factory, Hermann Fischer, provides her with birth certificates made by the Church. These false papers give them a chance to leave Vienna behind. A former admirer of her mother knows people who bring them safely across the border.

 

 

Flucht

 

Am frühen Morgen des 23. Oktober treffen Inge, die Mutter, der Bruder und Otto auf Schweizer Seite einen rätselhaften Mann, der sie zum Dorf St. Antönien lotst. Sogar die Fahrt im Postauto runter nach Küblis übernimmt der Unbekannte. Wären sie sofort aufgegriffen worden, hätte die Schweiz sie zurückgeschickt. Das Land hatte nämlich zwei Monate zuvor die Grenzen für Flüchtlinge geschlossen.

Escape

 

Early in the morning, on October 23rd, Inge, her mother, the brother and Otto meet a mysterious man on the Swiss side who guides them to Dorf Street in St. Antönien. The unknown man even pays for the ride down to Küblis. Without him, they would have been caught immediately and the Swiss would have sent them back. Switzerland had closed its borders to refugees just two months prior.

 

 

Vor den Toren Zürichs kommen sie ins Zivilinterniertenlager Adliswil im Sihltal, eine ehemalige Seidenstoffweberei – seit 1942 das größte Sammellager der Schweiz. Otto und sie, obwohl verlobt, werden aber nach dem Winter 1942/43 getrennt. Er muss in ein Arbeitslager im Tessin, wo die Internierten eine Straße über den Pass zwischen Bellinzona und Lugano bauen. Erst im Lager wird er, da er Akkordeon spielt, zu einem anderen Dienst eingeteilt. “Er war Nachtwächter, weil er nachts nicht schlafen konnte, und da hat er die Leute um 5 oder 6 Uhr früh mit seinem Akkordeon aufgeweckt.“ Sie kommt nach Luzern und wäscht den ganzen Tag Wollsocken aus Männerlagern von überall her. Später muss sie in die französische Schweiz. Zeitweise scheinen sich Otto und Inge zu verlieren. In seiner Freizeit spielt Otto auf den Plätzen Luganos selbstkomponierte Lieder, so wie er es einst seinen Schülerinnen und Schülern in Wien beigebracht hat. Das Akkordeon ist geliehen. Da wird er als Musiker entdeckt und erhält Engagements als Barpianist. Er tritt in Lugano sowohl im Vanini wie nebenan im Federale auf.

In front of the gates of Zürich they are brought to a civilian internment camp Adliswil in Sihltal, a former silk weaving mill which since 1942 had become the largest collection camp for civilian refugees in Switzerland. Otto and Inge are separated after the Winter 1942/43 although they are engaged. Otto has to go to a Work Camp in Tessin, where the internees are building a road over the pass between Bellinzona and Lugano. In the camp he is given a different job since he plays the accordion. He becomes the night watchman, because he could not sleep at night and could wake the people up at 5 or 6 in the morning with his accordion. Inge has to go to Lucerne and washes wool socks all day from the men’s camps all around. Later, she’s sent to the French-speaking part of Switzerland. Otto and Inge seem to lose one another for periods of time. In his free time Otto plays songs he has composed on the squares of Lugano, the same way he had taught his students in Vienna to play. The accordion is borrowed and he is discovered as musician and receives engagements as bar pianist. He performs in Lugano as well as Vanini and Federale.

 

 

Ein junger Niederländer namens Nabarro, der vom Krieg überrascht seit 1940 in Lugano festsitzt und offiziell im Konsulat der niederländischen Exilregierung angestellt ist, rekrutiert ihn 1943 für den US-Geheimdienst. Im Winter 1943/44 spielt Otto über zwei Monate hinweg allabendlich im Palace-Hotel in Wengen. Da lernt er offenbar einen prominenten Sozialdemokraten kennen, Jacques Schmid, der drei Monate später dafür sorgt, dass Inge nach Lugano kommt – nicht irgendwo hin, sondern: zu Bill Nabarro, dem jungen Holländer, der inzwischen für den amerikanischen OSS eine geheime Villa am Fuße des Monte Brè leitet. Inge wohnt da, Otto nicht.

 

Die Partisanenvilla

 

“Damals hieß es OSS, Office of Strategic Services, das nachher die CIA wurde ...”, erzählt sie. OSS-Vertreter in Lugano war Donald Jones, Agentennummer 809, ein Army Stabsoffizier – in direktem Kontakt mit Allen Dulles, der in Bern residiert. Inge braucht vom Vanini bloß die Straßenbahn bis zur Endstation Castagnola-Cassarate zu nehmen und leicht bergan zu steigen – schon ist sie in der Geheimvilla.

Surprised by the war, a young Dutch man named Nabarro has been stuck in Lugano since 1940. He recruits Otto in 1943 for the US-Secret Service although he is officially employed by the Consulate of the exile government of the Netherlands. In the Winter of 1943/44 Otto plays nightly for over two months in the Palace-Hotel in Wengen. There he meets a Social Democrat named Jacques Schmid, who finds a way three months later to bring Inge to Lugano – not just anywhere, but to Bill Nabarro, the young Dutch man, who meanwhile directs a secret villa at the foot of Monte Brè for the American OSS. Inge lives there, Otto does not.

 

The Partisan Villa

 

“Then it was called OSS, Office of Strategic Services, and later became the CIA ...”, Inge explains. The OSS-Representative in Lugano was Donald Jones, Agent Nr 809, a US Army staff officer in direct contact with Allen Dulles, who resided in Bern. Inge only had to take the tram from Vanini to the end of the station Castagnola-Cassarate and to walk up a short incline – and she is already at the secret Villa.

 


W: Villa Wesphal; R: Villa Studer-Ramona, ebenfalls Schauplatz geheimer Vorgänge


W: Villa Wesphal; R: Villa Studer-Ramona, place of secret operations as well

 

Ihre Hauptaufgabe besteht in der Betreuung italienischer Partisanen, die im Schutze der Nacht über die Schweizer Grenze kommen, wie sie in ihren 2008 erschienenen Erinnerungen “Die Partisanenvilla” schildert. Es war die Villa Wesphal. 1991 wurde sie abgerissen.

Her primary task is to take care of Italian partisans, who cross the Swiss border under the protection of the darkness of night, as she describes in her memoires published in 2008, entitled “Die Partisanenvilla.” It was originally called Villa Wesphal and was torn down in 1991.

 

 

Gelegentlich bringen Bill Nabarro und Inge Waffen und Medikamente direkt zur Grenze. Um die Grenzwächter abzulenken, spielen sie ‚die zerstrittenen Verliebten‘. Holen sie Partisanen nach Lugano, stopfen sie sie in den „Topolino“, und zwei Männer setzen sich aufs Dach. Sie hat damals in dieser Villa auch Partisanen empfangen, die gefoltert worden waren. Einer der Partisanen stellte sich im Gespräch mit Inge die Frage: "Was macht Menschen zu Unmenschen?”. 1945 erschien sein Roman „Uomini e no“ (dt.: 1946, 1963 und 1973). Es war Elio Vittorini, eine bedeutende Stimme des italienischen Neorealismus.

 

Leitsätze

 

“Man muss schauen, wie man selbst die nächsten 10 Minuten überlebt. Nicht den Tag! 10 Minuten! Das ist wichtig. Und das ist bis heut‘ geblieben. Das sage ich immer meiner Tochter. Man kann immer die nächsten 10 Minuten überleben, auch wenn alles ganz schlecht wird. Überleb erst mal die nächsten 10 Minuten, und dann wieder 10 Minuten. Das würde ich den Leuten sagen.”

Once in a while, Bill Nabarro und Inge bring weapons and medicine directly to the border. In order to distract the border guards, they pretend to be a quarreling couple in love. They bring partisans to Lugano, stuff them in the „Topolino,” and two men sit on the roof. At the time she also received partisans who had been tortured. One of the partisans asked Inge the question during a conversation: "What makes humans inhumane?” His novel "Uomini e no" appeared in 1945 (English: Men and not Men,1947). It was by Elio Vittorini, an important voice of Italian Neorealism.

 

Guiding Principles

 

“You have to see how you can survive the next 10 minutes, not the whole day, just 10 minutes! That’s important and remains true until this day. That’s what I always say to my daughter. You can always survive the next 10 minutes, even if everything is really bad. First survive the next 10 minutes and then another 10 minutes. That is what I would tell people.”

 

 

Inge Ginsberg wird indirekt Zeugin der “Operation Sunrise”, als eine Teilkapitulation der deutschen SS-Truppen in Norditalien möglich scheint. Zweimal hat der SS-General Karl Wolff incognito schon in der Schweiz mit dem amerikanischen OSS verhandelt, in Zürich und Ascona. Dann wird er aber in seiner SS-Befehlsstelle in Cernobbio am Comer See von einer Gruppe nicht-eingeweihter italienischer Partisanen eingeschlossen. Angeführt von OSS-Agent Nr. 809, Donald Jones, holt ein Konvoi mit Inges Partisanen diesen SS-General dort heraus - eingerollt in einen Teppich im Kofferraum eines der drei Fahrzeuge – und bringt ihn in ein kleines Hotel in Lugano. Dies verschont das Leben vieler Menschen. Es rettet aber auch den Kopf von Karl Wolff - sogenannter “höchster SS- und Polizeiführer” in Italien, verantwortlich für Vernichtungskrieg und unsägliche Gräuel. Der US-Geheimdienst tritt zwar nochmals an Inge und Otto. Sie hätten in Wien gegen die Sowjets eingesetzt werden sollen. Das wollten sie nicht. Auch nicht nach Österreich zurück. Seit Januar 1945 sind sie verheiratet. Otto Kollmann, der als Barpianist ein starker Raucher geworden ist, stirbt 1974 in Zürich im Alter von erst 58 Jahren.

Inge Ginsberg becomes an indirect witness of “Operation Sunrise”, when a partial capitulation of the German SS troops in Northern Italy appears to be possible. SS-General Karl Wolff has negotiated incognito twice with the American OSS in Switzerland, once in Zürich and once in Ascona. Then he is locked up in his office of command in Cernobbio on Comer Lake by a group of Italian partisans who do not know about the negotiations. OSS-Agent Nr. 809  - Donald Jones - is brought in and with a convoy of Inge’s partisans, he fetches this SS-General and puts him rolled up in a rug in the trunk of one of the three vehicles and brings him to a hotel in Lugano. This spares the lives of many people. But it saves the head of Karl Wolff – known to be the “highest SS- and Police Chief” in Italy, responsible for war destruction and atrocities beyond description. The US Secret Service approaches Otto and Inge again, right after the war. In Vienna they were supposed to spy against the Soviets, but wanted neither to do that nor to return to Austria. They married in January of 1945. The Bar pianist Otto Kollmann becomes a heavy smoker and dies in 1974 in Zürich at the age of 58.

 

 

Inges Bruder Hans wird wie schon der Vater Uhrensammler - und in Zürich Mitbegründer eines Uhrenmuseums. Inge Ginsberg erklärt mir im Interview: “Ich will nicht sammeln, ich will nichts haben, was mich zurückhält, ich will frei sein. Sammle nix.” Sie lacht auf. “Ich kann jetzt schon weggehen, ohne dass ich noch einmal zurückschau! Freiheit!” - „Musik“, sagt sie, sei immer noch “ein großer Teil von meiner Freude. Ich schlaf mit einem Radio ein, und wenn ich nicht schlafen kann, höre ich Musik.” Sie bemerkt: “Wenn ich träume, habe ich nur Albträume. Und ich bin immer bereit, mich draus aufzuwecken. Und meistens Albträume, wo ich davonlauf!” Zum Schluss sagt sie: “Das schreibt, ich glaube der [Julio] Cortázar: ‘Wer weiß, von wem wir uns in diesem Haus heute verabschiedet haben, und wissen es nicht, wussten es nicht.’ Sie fragen mich, was so meine Leitsätze sind. Das ist wohl der wichtigste: Du gehst weg und weißt nicht, ob du den anderen je wiedersiehst.”

Inge’s brother Hans becomes a clock collector, like his father, and co-founds a clock museum in Zürich. Inge Ginsberg explains,“I don’t want to collect. I don’t want anything that holds me back, I want to be free. Collect nothing,” she laughs, “I can go away now without looking back! Freedom!” - “Music”, she claims is still such a “big part of my joy. I fall sleep with the radio on and if I can’t sleep, I listen to music.” She adds, “If I dream, I only have nightmares and am always prepared to wake myself up from them. Mainly nightmares, where I am running away from something!” - “Finally, she says, “I think this was written by [Julio] Cortázar, ‘Who knows whom we have paid our respects to in this house today, and don’t know, didn’t know it.’ You asked me what my guiding principles are. This is the most important of all – you go away and don’t know if you will ever see the other person again.”

 

 

Mein 52-minütiges Filmporträt „Lehren eines Lebens. Inge Ginsberg, geboren 1922 in Wien“ wurde wenige Tage vor ihrem 100. Geburtstag abgeschlossen.

 

Peter Kamber, 22.02.22

My 52-minute film portrait „Lehren eines Lebens. Inge Ginsberg, born 1922 in Wien“ was finished a few days before she would have celebrated her 100th birthday.

 

Peter Kamber, Feb 22nd, 22

 

(Translation: Carrie Asman, Berlin)

 

 

 

Bildnachweis/photo credits:

 

Inge Ginsberg/Otto Kollmann: Marion Niemi, Vera Markus

Inge Ginsberg als Kind/as a child: Isabelle Messerli

Aspangbahnhof, Wien: ORF, „Zeit im Bild“, 8. September 2017 (Bericht über Einweihung des Aspangbahnhof-Mahnmals; mit Bildern aus "Holokaust" von Maurice Philip Remy, 2000) - © Agentur Karl Höffkes, Gescher/Deutschland

Postbus St. Antönien: Hansluzi Kessler,, "Postkarten erzählen Geschichten", poststempel-graubuenden.ch

Ansicht Vanini, Lugano: Postkarte i. B. v. Peter Kamber

Luftbild/aerial view Lugano: Werner Friedli (1950); ETH-Archiv Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz (mit Dank an Markus Müller)

Villa Wesphal: Vera Markus